Annette Bopp

Ackern, säen, ernten, hinstellen – bitte schön!

Nr 133 | Januar 2011

Die Idee ist ebenso einfach wie genial: Ein Bauernhof beliefert – seiner Größe entsprechend – rund 300 Personen mit allem, was sie zum Leben brauchen: Brot, Mehl, Getreide, Gemüse, Milch, Joghurt, Quark, Käse, Butter, Eier, Fleisch. Umgekehrt verpflichten sich die Familien, den Bauernhof ein Jahr lang zu finanzieren, mit Option auf Verlängerung. Ein Konstrukt zum Vorteil aller Beteiligten, ein Win-Win-System: die Wirtschaftsgemeinschaft Buschberghof in Fuhlenhagen, 40 km östlich von Hamburg. Rund 90 Familien ernährt der anerkannte Demeter-Betrieb mit den auf 100 Hektar Land angebauten Feldfrüchten, mit seinen 30 Kühen, 35 Schweinen, 14 Schafen, 200 Hühnern, Enten und Gänsen. Die Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft wiederum nehmen den Bauern das finanzielle Risiko ab. «Bei uns können die Landwirte das tun, was ihre eigentliche Aufgabe ist: ackern, säen, ernten, hinstellen – bitte schön!», sagt Jens Otterbach (34), der gemeinsam mit seiner Frau Eva seit 2004 auf dem Buschberghof für die Rinderherde zuständig ist. «Dem Betrieb entstehen keine Kosten für Vermarktung, Transport oder Hofladen. Wir können zurückkehren zu der Uridee der Landwirtschaft: Menschen satt machen. Wir müssen nicht überlegen, was am meisten Geld bringt, wir produzieren bedarfsorientiert. Und wir wissen, für wen.»
In der Landwirtschaft ist das ein Novum – normalerweise richtet ein Bauer seine Produktion daran aus, was der Markt verlangt oder die EU subventioniert. Und er verkauft seine Produkte an anonyme Großabnehmer, es gibt nur selten einen unmittelbaren Bezug zum Verbraucher. Gerade in der Landwirtschaft liegt auf solcher Ent­fremdung jedoch kein Segen. «Profiterwartung und Wettbewerb können keine Qualitätsprodukte erzeugen, deshalb führt die Marktwirtschaft weder zu gesunden Höfen noch zu gesunden Lebensmitteln – das zeigen die vergangenen Jahrzehnte», sagt Karsten Hildebrandt, neben Jens Otterbach und dem fürs Gemüse zuständigen Axel Iser (44) einer der drei Landwirte des Busch­berghofs. Karsten Hildebrandt (48) hatte schon Anfang der 1980er Jahre seinen Zivildienst auf dem Buschberghof abgeleistet. 1986 kam er als Bauer zurück – zusammen mit seiner Frau Johanna (48), die sich heute um die Bäckerei des Hofes kümmert.

Landwirtschaft als Kulturaufgabe

Der Buschberghof war bereits damals kein normaler Bauernhof. Mitte der 1950er Jahre hatte der Hoferbe Carl-August Loss auf biologisch-dynamischen Anbau umgestellt – seinerzeit eine Rarität in deutschen Landen. Gut fünfzehn Jahre später folgte die nächste Inno­vation: Beeinflusst durch die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der 1968er Bewegung und der Gedanken Rudolf Steiners zur Sozialethik schenkte Loss Grund und Boden einer neu ins Leben gerufenen «gemeinnützigen Landbauforschungsgesellschaft mbH». Von ihr pachtete die gemeinsam mit anderen Bauern ge­gründete «Landwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft Buschberghof» das Land. Damit wurde das Eigentum an Grund und Boden, an Gebäuden und Maschinen sowie am Viehbestand neutralisiert. Der Hof konnte bewirtschaftet, aber nicht mehr vererbt, beliehen,
verkauft oder verspekuliert werden. Er unterlag nicht mehr den Interessen eines einzelnen Landwirts, sondern einer Gemeinschaft aus damals etwa vierzig Menschen, die sich alle als Landwirte verstanden – nicht im Sinne einer Berufsbezeichnung, sondern der alle verbindenden Grundidee. Dazu gehörte, das Land so zu bebauen, dass es die Menschen ernährt und die nachfolgenden Generationen ein menschenwürdiges Leben führen können. Landwirtschaft wurde so zur Sozial- und Kulturaufgabe.
Der Sozialaspekt wurde noch erweitert, indem der Hof therapeu­tische Wohngemeinschaften für hilfe- und betreuungsbedürftige Menschen einrichtete. Bis heute leben und arbeiten auf dem Busch­berghof zwölf Menschen mit Behinderungen und/oder psychischen Erkrankungen. Sie werden ihren Fähigkeiten ent­-sprechend an den Aufgaben beteiligt und leisten sinnvolle Arbeit – in der Meierei und der Bäckerei, im Gemüse- und Getreideanbau. So vereinigen sich Forschung (z.B. für Saatgut, Bodenqualität und den Erhalt alter Nutztierrassen), Landwirtschaft und soziale Arbeit unter einem Dach. Die Bauern können menschenorientiert arbeiten und nicht marktorientiert.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

Die Entkoppelung von Geld und Produkt

Bis 1989 machte der Buschberghof das, was die meisten Bio-Höfe tun: Er vermarktete seine Produkte über einen Hofladen und diverse Kontakte. In Hamburg entstanden mehrere «Milchkreise», die ein- bis zweimal in der Woche frische Rohmilch aus Fuhlen­hagen holten, die bekannt war für ihre hohe Qualität. Warum, so fragten sich die Milchkreis-Mitglieder schon bald, können wir neben der Milch nicht auch Brot und Käse bekommen?
Gleichzeitig gärten innerhalb des Hofes neue Ideen: In den USA hatte sich die Wirtschaftsform der «community supported agriculture» (CSA) ausgebreitet, initiiert von dem Landwirt Trauger Groh, der zwanzig Jahre auf dem Buschberghof gelebt und ge­-arbeitet hatte. Über ein Jahr lang bewegte eine Gruppe von 20 bis 25 Menschen vom Buschberghof und aus dessen Umkreis die Frage: Wie lässt sich diese Idee einer regionalen Zusammenarbeit von Erzeugern und Verbrauchern auf europäische Verhältnisse im Allgemeinen und auf den Buschberghof im Speziellen übertragen? «Wir hatten dafür erstmal keinen Plan, wir mussten etwas denken, was noch nicht da war und wofür es noch kein Beispiel gab. Aber uns alle hat der Gedanke angesprochen, die Hofladen- und Grüne-Kisten-Struktur noch ein Stück weiterzudrehen, Geld und Produkte voneinander zu trennen», erinnert sich Wolfgang Stränz (62). Er gehörte damals zum Milchkreis in Hamburg-Wandsbek und ist bis heute in Personalunion «Außen- und Finanzminister» der Wirtschafts­gemeinschaft.
Es galt, eine Logistik aufzubauen, mit der die Familien mit allem versorgt werden, was sie zum Leben brauchen – in ausreichender Menge, mit gerechter Verteilung bei angemessener Bezahlung. «Das geht nicht», war einer der meistgehörten Kommentare zu dem ehrgeizigen Vorhaben. Es gab viele Zweifel, viele Fragen: Wie viel soll, darf und kann das kosten? Bekommen alle genug ab? Müssen Vegetarier weniger bezahlen, weil sie an den Fleischlieferungen nicht partizipieren? Wer bekommt das Filet? Die Lösung war ein gesunder Pragmatismus, wie sich Wolfgang Stränz erinnert: «Jedes Rind hat zwei Filets, aber nur einen Schwanz und eine Zunge. Als klar war, dass wir diese Schmankerl einfach reihum an die Familien im Wechsel verteilen und dass zwischen Vegetariern und Fleischessern keine Unterschiede bestehen sollten, weil sich letztlich alles irgendwie wieder ausgleicht, war die Finanzierung auch klar.»
So schlossen sich erstmals im Frühjahr 1988 fünfundvierzig Haushalte zu einer «Selbstversorger­ge­meinschaft» zusammen. Im ersten Jahr blieb der Hofladen noch geöffnet. Als eine der beteiligten Familien jedoch wegzog und damit auch dem Laden Arbeitskräfte verloren gingen, beschloss die Selbstversorger-gemeinschaft im Sommer 1989, den Laden zu schließen. Es hatte sich gezeigt, dass die Gemeinschaft in der Lage war, das für die Bewirtschaftung des Hofes nötige Geld aufzubringen. Nun sollten noch
fünfundvierzig weitere Haushalte gewonnen werden, damit das gesamte System auf Wirtschaftsgemein­schaft umgestellt werden konnte. Die Werbetrommel musste nicht lange gerührt werden – die Idee überzeugte schnell, Familien in der ländlichen Umgebung ebenso wie im nahegelegenen Hamburg.

Vertrauen auf Gegenseitigkeit

Seit 21 Jahren funktioniert das für unmöglich Gehaltene nun schon – mit einer bemerkenswert geringen Fluktuation von jährlich ca. zehn Prozent; zurzeit besteht eine Warteliste. Das System ist ebenso einleuchtend wie logisch: Die Landwirte stellen im Sommer einen Etat für das kommende Jahr auf, der der Wirtschaftsgemeinschaft bei der Jahreshauptversammlung im Juni vorgestellt wird. Aus diesem Etat errechnet sich der Richtsatz für den Pro-Kopf-Beitrag, der notwendig ist, um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten, um Rücklagen zu bilden, notwendige Investitionen zu tätigen und die Altersvorsorge abzuführen. Ein Gewinn wird nicht angestrebt.
Der monatliche Richtsatz von derzeit 150 Euro pro Erwachsenem und 75 Euro pro Schulkind wird über- oder unterschritten, je nachdem, wie sich die Familie finanziell stellt. «Damit können wir auch wirtschaftlich schlechter gestellten Familien die Teilnahme ermöglichen», sagt Wolfgang Stränz. «Verdienen sie wieder besser oder sind die Kinder aus dem Haus, erhöhen sie den Beitrag. Diese Idee der Solidarität ist ein wesentlicher Aspekt der Wirtschaftsgemeinschaft.» Und ebenso die Mithilfe bei Sonderaktionen wie dem Neubau einer Scheune, der Möhrenernte, dem Schnitt der Knicks oder auch das Zusammenkommen im Rahmen der Johanni- und Erntedankfeste.
Jeweils vier bis acht Familien bilden einen Stützpunkt, dessen Mitglieder das saisonal geerntete Gemüse, elf Sorten Brot, Milch, Joghurt, Quark, Butter sowie Schnitt-, Weich- und Frischkäse reihum jeden Dienstagnachmittag am Hof abholen – pro Stützpunkt fährt immer eine Familie und bringt die Ware für die anderen mit. Geschlachtet wird einmal im Quartal – dann gibt es Rind- und Schweinefleisch. Zweimal jährlich kommt noch Lammfleisch hinzu, und nach Möglichkeit erhält jede Familie zu Weihnachten ein Huhn, eine Ente oder eine Gans.
Die Vielfalt des Angebots und vor allem die exzellente Qualität werden von den Familien besonders geschätzt. Zum Beispiel von den Kapfers aus Hamburg. «Wir sind seit zwölf Jahren dabei und fühlen uns jeden Dienstagabend, wenn die Lebensmittel angeliefert werden, reich beschenkt, für uns ist das ein Fest – jede Woche aufs Neue», sagt Regina Kapfer, Mutter von vier Kindern im Alter zwischen dreizehn und neunzehn Jahren. Für sie verbinden sich mit dem Buschberghof Werte wie Lebendigkeit, Zufriedenheit, Sinn­haftigkeit. Dabei ist ihr der direkte Bezug zum Hof am wichtigsten: «Wir wissen genau, wo unsere Lebensmittel herkommen, die Kinder gehen heute noch in den Kuh- und Schweinestall, wenn wir dran sind mit Abholen, und wenn in den Medien mal wieder über einen Lebensmittelskandal berichtet wird, lehnen wir uns entspannt zurück – wir wissen: unser Fleisch ist sauber, das Gemüse sowieso.»
Ein gewisses Maß an Flexibilität setzt die Teilnahme an der Wirt­schaftsgemeinschaft jedoch voraus. «Im Sommer ist es wie im Schlaraffenland, da gibt es Gemüse und Salat in Hülle und Fülle, in anderen Monaten ist das Angebot etwas beschränkter», sagt Gesa Meyer-Hamme (40), die mit ihrer Familie seit Anfang 2009 dabei ist. «Dafür bietet der Buschberghof die Möglichkeit, wieder mit den Jahreszeiten zu leben, das ist uns wichtig.» So wird der erste Blattsalat im April ebenso freudig begrüßt wie die Maibutter, wenn die Kühe wieder frisches Gras weiden, die Erdbeeren im Juni, die Tomaten im Juli, der Kürbis im Oktober und der Grünkohl im Dezember.
Es ist gerade das gegenseitige Vertrauen, das den Buschberghof zum Erfolgsmodell für die bürgernahe Versorgung im 21. Jahr­hundert macht und der Gemeinschaft auch nicht grundlos 2009 den Förderpreis des Bundesministeriums für Ernährung, Land­wirtschaft und Verbraucherschutz einbrachte. Es ist das Vertrauen darauf, dass jeder seiner Verantwortung nachkommt, in guten wie in schlechten Zeiten. Der Gegenentwurf zu Gier, Misstrauen und Egoismus.