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Maria J. Krück von Poturzyn

Das Mädchen Jeanne d’Arc

Nr 133 | Januar 2011

gelesen von Simone Lambert

Am 30. Mai 1431 starb die neunzehnjährige Jehanne aus Domrémy auf dem Scheiterhaufen in Rouen. Die Inquisition hatte sie als «rückfällige Ketzerin» der eng­lischen Justiz übergeben.
Johanna von Orléans, Jeanne la Pucelle, Joan of Arc, Jeanne d’Arc - das war ein Mädchen in Hosen im späten Mittelalter, ein einfaches Bauernmädchen, das kaum drei Dörfer kannte und auszog, um Frankreich von den Engländern zu befreien und Karl dem VII. zur Anerkennung als rechtmäßiger König Frankreichs zu verhelfen; das war ein «militärisches Genie», wie Napoleon meinte, eine starke und mutige Kämpferin, die nach der Schlacht die toten Engländer beweinte, an deren Ende sie sich schuldig fühlte, eine einsame Heldin, die sich von ihren Richtern nicht einschüchtern ließ und klug und mit moralischer Kraft zwischen den verschiedenen Ebenen der Anklage zu unterscheiden wusste. Und sie war ein Orakel, eine Prophetin, die Stimmen hörte, die sie als die der Heiligen Katharina, Margareta und Michael angab.
Johannas Prophezeiungen trafen ein, die Geschicke Frankreichs nahmen eine grundlegende Wendung. Etwa ein Jahr später wurde sie als Kriegsbeute an die Engländer verkauft. König Karl ließ sie im Stich.
Viele Fragen ranken sich um diese außergewöhnliche Person: Wie konnte ein Bauernmädchen ohne jede Bildung ein solches Selbstvertrauen, eine solche Macht und Führungskraft haben? Was heißt es, wenn göttliche Führung in das politische Geschick eines Landes eingreift – durch sie? Was bedeutet es für den christlichen Glauben und die christliche Kirche, dass da erstmals jemand – zudem ein einfaches Mädchen unter dem Druck eines Inquisitions­tribunals – zwischen beiden klar unterscheidet? Wofür steht ihr Märtyrertum?
Maria Josepha Krück von Poturzyns schreibt darüber mit um­fassender Kenntnis der historischen Quellen. Ihr Buch über Jeanne d’Arc, 1961 erstveröffentlicht, ist keine rein wissenschaftliche Biographie, auch nicht nur ein historischer Roman. Die Autorin hat einen eleganten dokumentarischen Roman verfasst, in dem sie alle Informationen verarbeitet, ohne tendenziös oder beschönigend zu werden. Ein historisches Manuskript beispielsweise über das Gespräch, dass der englische Rechtsgelehrte Peter Macauley und der junge deutsche Kanonikus Rupertus Geyer 1429 über Johanna und die Bedeutung ihres Handelns für Kirche und Politik geführt haben, verwandelt sie in den spannenden, atmosphärischen Dialog zweier interessanter Charaktere. Ihr gelingt aber vor allem eines, und das zeichnet ihr Buch vor anderen aus, nämlich eine weise, kritische Haltung zu allem Geschehen, die einer höheren Sichtweise Raum lässt, ohne dass ihre eigenen Kommentare diesen besetzen würden.
Jeanne wurde 1920 heilig gesprochen. Seither gilt sie als Schutz­patronin von Paris, Rouen und ganz Frankreich, aber auch der Telegrafie und des Rundfunks. Dieses ungewöhnliche Patronat ist vielleicht der Tatsache geschuldet, so möchte man mutmaßen, dass Johanna von Orléans, deren Eingreifen das Gesicht Europas veränderte, nicht nur eine Art europäisches Medienereignis war, sondern vor allem ein Sender mit außerordentlicher Reichweite – bis heute.