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Bert Kouwenberg An van't Oosten

Der Rote Löwe

Nr 136 | April 2011

gelesen von Simone Lambert

Zehn Etappen gliedern den Weg dieser Gruppe von Kin­dern – und die Stationen dieses historischen Romans.
La Libertad, so lautet das spanische Stichwort, das als Leit­motiv die Queste begleitet: wie ein Kreuzzug für die Freiheit nimmt sich diese Reise durch das Spanien der Inquisition aus.

Am Pilgerziel Santiago de Compostela beginnt das Abenteuer: Rafael, eine Waise, vom Onkel zum Stehlen gezwungen, reißt aus. In der Stadt trifft er auf den Lehrjungen Pablo aus Finisterre.
Beide fliehen Richtung Süden, als sie annehmen müssen, Rafaels aggressive Tante Marta erschlagen zu haben. Sie wollen in die Neue Welt, nach Amerika. Auf ihrem Weg treffen sie Mateo den Hausierer. Diese Begegnung wird prägend für ihre ganze weitere Reise. Mateo ist ein Freidenker. Von ihm hören sie zum ersten Mal vom Roten Löwen, El León Rojo, dem «Schreck der Mächtigen und … Held der Armen und Unterdrückten».
Die tragischen Schicksale der Jugendlichen spiegeln die politische Situation in Spanien um 1600: Estella stößt zu ihnen, Tochter verfolgter und getöteter Juden, Niello, ein junger Zigeuner, dessen Eltern ebenfalls gewaltsam zu Tode kamen, Nina, ein Kind, dessen Eltern als Hexer verfolgt und ermordet wurden, und Ana, eine als Junge verkleidete maurische Sklavin, die ihrem Herrn davonläuft. Juden und Zigeuner, Mauren und Freidenker, sie lebten gefährlich in dieser Zeit. Den Jugendlichen schließt sich ein galanter Jüngling an, Anselmo, der hinter seiner Maske aus Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit fragwürdige Absichten hegt. Als die Kinder davon erfahren, dass Mateo der Kirche in die Hände gefallen ist, machen sich Rafael und Pablo auf den Weg zum Roten Löwen – heimlich, um den Plan zur Rettung Mateos vor Anselmo verborgen zu halten, denn der ist, wie Niello ahnt, ein Spion der Inquisition.
Als sie dann in einer Höhle auf den Roten Löwen treffen, erkennen sie in ihm den Mann mit den gotteslästerlichen Reden, den sie in der Kathedrale von Santiago bereits gesehen hatten und für El Diablo, den Teufel, hielten. Die Verknüpfung von «Teufel» und «Freiheit» spielt an auf die Schuld, die der Rote Löwe trägt und mit seinen riskanten Manövern wiedergutmachen will. Mit einer dreisten List errettet er Mateo aus den Folterkellern der Domini­kaner – und entlarvt dabei noch die Dummheit und Gier der Klosterbrüder.
Die Autoren beschreiben eine gefahrvolle und glückhafte Reise quer durch Spanien, die die sozialen und kulturellen Verhältnisse der Epoche, die Landschaften der Iberischen Halbinsel und spanische Bräuche zu einer Fülle von Erzählmotiven und Bildern verflechten. Ob es die Semana Santa in Sevilla, eine Reminiszenz an Don Quichotte oder das Bild einer Schneeballschlacht mit Köhlerkindern ist: Kouwenberg und van Oosten verstehen sich darauf, Spannung und Atmosphäre zu erschaffen und ihren Roman mit pittoresken Szenen zu dynamisieren.
Das antagonistische Freundespaar Rafael und Pablo findet seinen Platz: Pablo, handfest, direkt und ehrlich, wird mit Estella und Nina nach Finisterre zurückkehren. Rafael dagegen entdeckt sein Dichterherz, wie Mateo es nennt, und findet sein Lebensziel darin, Lieder der Freiheit zu verfassen. Gemeinsam mit Mateo wird er sich nach Amerika einschiffen. Die Freiheit, für die die jungen Freunde eintreten, kann verschiedene Gesichter haben. Aber immer lässt sie den anderen, wie er ist.