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Lisa Boersen

Nr 136 | April 2011

Träumen kann man nicht nur im Schlaf

Zuerst einmal muss gesagt werden, dass Lisa Boersen mehr als nur einen Schreibtisch hat. Einer der beiden steht im Amsterdamer Veranstaltungszentrum Paradiso, dessen Programm sie gestaltet.
Dort ist sie unter anderem verantwortlich für das Projekt INKTVINGERS («Tintenfinger»), das sie selbst organisiert hat.
«Als ich in New York war, habe ich von einem Projekt gehört, bei dem gemeinsam mit Kindern Ideen für Theaterstücke entwickelt wurden. Für mich stand sofort fest, dass so etwas auch in Amsterdam möglich sein muss.»
Also suchte Lisa Boersen sich ein paar erfahrene Theaterleute und ging mit ihnen in Grundschulen. Dort ließ sie die Kinder Geschichten erzählen, die dann mit den Profis weitergesponnen und dramaturgisch entwickelt und schließlich aufgeführt wurden.
«Die Kombi­nation aus dieser bizarren Fantasie von Kindern mit Menschen, die ? sagen wir mal ? etwas von Dramaturgie und Spannungs­bögen verstehen, ist eine fantastische Sache für alle Beteiligten.»
An der Arbeit im Paradiso gefällt ihr, dass dort viel Bewegung herrscht. Auch deutsche Größen wie die Berliner Kultband Wir sind Helden treten dort auf.
«Du hast das Gefühl, dass du in dieser Funktion durch die Bedeutung des Paradiso für die Stadt auch sozial-gesellschaftliche Programme entwickeln und durchführen kannst. Und dafür hat man mich angestellt. Eigentlich also das sozial-gesellschaftlich engagierte Programm bedenken. Das ist meine Aufgabe. Und innerhalb dieses Programms kann ich so weiträumig denken, wie ich will.»
Aber Lisa Boersens Leben besteht nicht nur aus Trubel – das weit­räumige Denken lässt auch zu, dass sie sich ganz anderen Dingen zuwenden kann. Und das tut sie an ihrem zweiten Schreibtisch, der bei ihr zu Hause steht.
«Im Prinzip arbeite ich vier Tage im Paradiso und habe einen Tag, um zu schreiben, und ich merke, dass gerade dieser Mix mich auch gesund erhält. Paradiso ist sehr hektisch, sehr sozial, es bedeutet sehr viel Telefonieren. Und Schreiben bedeutet: Telefon aus, man wendet sich nach innen. Man kommt in eine andere Art von Energie. Dadurch bleibe ich beweglich.»
Angeregt durch die Arbeit mit den Kindern ist ihr erstes Kinderbuch entstanden, in dem sie einen Charakterzug in den Vordergrund stellt, der ihr selbst nicht ganz fremd ist: das Tagträumen.
«Es gibt Eltern, die ihre Kinder mit hohen Erwartungen unter Druck setzen, und so ist es auch bei Tim, dem Helden meiner Geschichte.»
Seine Eltern sehen für ihn eine Karriere als Minister oder Fuß­ballprofi voraus, ganz egal, Hauptsache berühmt. Wie der Blick ins aktuelle Zeitgeschehen zeigt, kann man sich auch als Minister seiner Sache nie ganz sicher sein, und da ist das Tagträumen doch eine gute Alternative. Tim jedenfalls bleibt seinen Träumen treu.
«Eigentlich träumt er nur. Und so handelt die Geschichte auch ausdrücklich von nutzlosen Talenten, von Dingen, die für dich selber schön sind, mit denen du andere aber nicht unbedingt übertrumpfen kannst. Und daher stellte ich mir gegen Ende der Geschichte die Frage, ob Tim jetzt Künstler werden soll. Aber dann entschied ich mich anders, er soll gar nichts werden. Das Entscheidende ist, dass er sich nie langweilt, weil seine eigenen Gedanken ihm immer genügend Abwechslung bieten.»
In ihrem Buch bekommt ihr kindlicher Held schließlich sogar ein dickes Lob von der Königin.
Und Lisa Boersen selbst? Als Kind sagte sie, wollte sie entweder Astronautin, Ballerina, Frisörin oder Kinderbuchautorin werden. Einen Traum hat sie sich also schon erfüllen können.

Von Michael Stehle