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Jaap van de Weg

Was die Welt im Inneren zusammenhält

Nr 137 | Mai 2011

Vor einigen Jahren begann ich mit dem Versuch, die Welten genauer zu erforschen, die sich hinter der für uns sichtbaren Welt verbergen. In diesen verborgenen Welten lebt eine Vielzahl von Wesen. Sie üben ihren Einfluss auf unser Alltagsleben aus. Wir können sie nicht mit unseren normalen Sinnen wahrnehmen, doch wir bemerken ihre Wirkung durchaus, auch wenn sie normaler­weise nicht in unser Bewusstsein dringen.
In meinem Beruf als Arzt und Psychotherapeut höre ich häufig Erfahrungen von Menschen, die ich aus dem rein schulmedizi­nischen Denkmodell nicht erklären kann. Solche Erfahrungen klingen häufig vage und unbegreiflich. Doch ich habe bemerkt, dass man bereichert wird, wenn man diese Erfahrungen ernst nimmt.
Sie können den Blick weiten und auf diese Weise die Wirkung anderer Wesen und Wirklichkeiten erkennbar machen.
Da sind zum Beispiel Erfahrungen, die bei Grenzüber­schreitungen stattfinden. Die Welt der Wesen, denen man dort begegnet, bildet zusammen einen ganzen Tierpark. Wenn man sie genauer kennenlernen will, ist es nützlich, sie in Gruppen zu unterteilen. Da gibt es unter anderem die «Verführer» und die «Helfer».
Die Verführer versuchen, sich einen Platz in unserer Seele zu erobern. Das gelingt ihnen, indem sie Löcher benutzen, die in der Seele existieren. Ein Loch in der Seele ist häufig eine Stimmung oder ein Gefühl, mit dem wir nicht umgehen können. Häufig sind es gerade solche Gefühle, die wir möglichst vermeiden möchten, wie zum Beispiel Einsamkeit, Verletztheit oder das Gefühl der Zurück­weisung. Ebenso Schmerz oder Kummer. In diesen Seelen­regionen stecken häufig sehr alte Bilder, die bereits in unserer frühen Jugend in uns entstanden sind. Die Verführer erwecken zum Beispiel Wut und Ärger in uns und verführen uns dazu, Dinge zu tun, die wir möglicherweise gar nicht wollten oder die wir später bereuen.
«Ich fühle mich oft unzufrieden», erzählte mir eine Patientin. «Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, will ich mich eine Weile ausruhen, und eigentlich möchte ich mich dann nur mit mir selbst beschäftigen. Aber das klappt meistens nicht; es muss gekocht werden oder die Kinder fordern meine Aufmerksamkeit. In solchen Momenten habe ich die Neigung, etwas zu naschen.»
Hier ist das «Loch» die Unzufriedenheit, in Verbindung mit dem Wunsch nach Ruhe. Die Bedürfnisse werden nicht anerkannt; es ist keine Zeit dafür vorhanden. Also werden sie auf andere Weise gestillt. An dieser Stelle tritt der Verführer auf den Plan ? und bietet uns Süßigkeiten als Problemlösung an. Wenn es nur nach ihm ginge, wäre es allerdings mehr ein In-sich-Hineinstopfen.
Wenn wir die Verführer in uns wahrnehmen, bietet uns das die Gelegenheit, in gewisser Weise aufzuwachen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das kann uns befähigen, auch auf die anderen, die helfenden Stimmen in uns zu hören, die uns mitteilen wollen, dass wir vielleicht Größeres leisten können, als wir uns zutrauen. Ein Wahrnehmen dieser Stimmen verhilft uns zu einem bewuss­teren Umgang mit unseren Gefühlen, und wir müssen uns nicht mehr so leicht von ihnen aus der Bahn werfen lassen. In seiner Antrittsrede als Präsident Südafrikas rief Nelson Mandela dazu auf, den Mut zu haben, sich auf etwas Großes einzulassen, folgendermaßen:
«Unsere größte Angst ist nicht die, dass wir unvollkommen sind, unsere größte Angst ist die, dass wir unermesslich stark sind. – Es ist unser Licht, nicht unsere Finsternis, das uns am meisten Angst macht.»