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Lisette Thooft

Wenn du Fülle suchst, strebe nach dem Einfachen

Nr 141 | September 2011

«Die Verbraucher machen sich zunehmend Sorgen, ob ihr Geld noch sicher ist», berichten Finanzexperten. Der Euro steckt in der Krise, die Aktienmärkte zittern, nicht nur Griechenland droht die Pleite – viele Sparer und Anleger sind alarmiert und haben schlaflose Nächte. Die bekannte niederländische Journalistin Lisette Thooft hält diesen ängstlichen Umgang mit Geld für grundfalsch. Sie plädiert für eine ganz andere Haltung gegenüber der Angst vor dem Verlust des Überflusses. (fb)


Ich ging einmal mit meinem Hund im Park spazieren, als aus der Ferne ein junger Mann mit einem schwarzen Terrier auf mich zukam. Das Tier lief ohne Leine und trottete neugierig in unsere Richtung, statt brav neben seinem Herrchen zu laufen. Der Mann rief den Hund zu sich: «Kane! Komm her!» Vergeblich, der Terrier rannte in Kreisen um uns herum, sein Herrchen ihm hinterdrein – und natürlich war der Hund schneller. Es wurde gefährlich, denn die belebte Straße war inzwischen sehr nahe gekommen. «Würden Sie bitte mit Ihrem Hund einfach mal kurz stehen bleiben», rief mir der junge Mann zu, «sonst wird meiner gleich auf die Straße hinauslaufen!» Ich blieb stehen. «Darf ich Ihnen einen Tipp geben?», fragte ich. «Sie müssen ganz schnell in die andere Richtung rennen, weg von Ihrem Hund. Dann wird er Ihnen von selbst nachlaufen.»
Der junge Mann fand das einen Versuch wert. Er drehte um und rannte in die andere Richtung über die Wiese, wobei er über seine Schulter blickte, ob das Manöver funktionierte. Und tatsächlich, sobald Kane sah, dass sein Herrchen zu verschwinden drohte, rannte er so schnell ihn seine Pfoten trugen hinter ihm her: ‹Das ist spannend, was mein Herrchen da macht! Da muss ich dabei sein!›
Das Gefühl des Überflusses, das wir erreichen wollen, ist wie ein kleiner, ungehorsamer, wieselflinker Terrier. Wenn man ihm hinterher rennt, rennt er vor uns davon. Wenn wir in die andere Richtung gehen, in dem starken Vertrauen, dass wir das Sagen haben, wird er uns nachrennen. Ja, mehr noch: Wir brauchen einfach nur still zu stehen. Der Sufi-Dichter Dschellaleddin Rumi drückt es so aus: «Wenn ich dem, wonach ich ver­lange, nachrenne, sind meine Tage eine Hölle aus Stress und Angst; wenn ich still sitze, an meinem eigenen Ort der Geduld, strömt alles, was ich benötige, ohne jede Anstrengung auf mich zu. So habe ich verstanden, dass dasjenige, wonach ich verlange, auch nach mir verlangt, dass es nach mir auf der Suche ist und versucht mich anzuziehen; wenn es mich nicht zu sich locken kann, so muss es wohl oder übel auf mich zukommen. Hier liegt für die Menschen, die es verstehen, ein tiefes Ge­heimnis verborgen.»
Das prickelnde Vertrauen, dass das Leben ein Genuss ist, voller Reichtum und Möglichkeiten, dieses Gefühl hängt gewissermaßen über unserem Kopf in der Luft und es verlangt danach, Eingang in ein Menschenherz zu finden.
Wenn wir weiterhin äußeren Reichtümern nachjagen, kann es nicht in uns einziehen. Wir sind zu beschäftigt, wir haben keinen Raum dafür. Wenn wir das äußere Hetzen aufgeben und stille stehen, erhält das Vertrauen die Chance, in uns einzuströmen. Und dieses Vertrauen wirkt wie Magie. Rumi schrieb hierzu: «Als ich all das Grübeln über Geld, Nahrung, Kleidung und körper­liche Befriedigung aufgab, fing alles an, in einem natür­lichen Strom zu mir zu fließen.»
Zahlreiche Menschen haben diese Erfahrung gemacht. Sobald sie sie sich nicht mehr auf die Angst konzentrieren, zu kurz zu kommen, sondern auf das, was sie wirklich gerne tun, nimmt ihr Leben eine fast magische Qualität an. Es wird wirklich gut. Es ist bereits gut. Es gibt genug, es herrscht Überfluss!