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Ich liebe dich! Drei Wörter für die Dauer

Jean-Claude Lin

Nr 143 | November 2011

«Ich weiß, dass du mich liebst, Charlie», sagt Humboldt Fleisher, der manisch-depressive Dichter, seinem Freund Charles Citrine in Saul Bellows 1976 mit dem Nobelpreis für Literatur gekrönten Roman «Humboldts Vermächtnis». «Das stimmt», entgegnet ihm der Freund. «Aber wir wollen’s nur einmal aussprechen.»


Wilhelm Genazino müsste über so viel Zurückhaltung sehr zu­frieden sein. Denn er hat einmal das Bekenntnis «Ich liebe dich!» für unmöglich erklärt. In seinen eigenen Texten kommt es auch nicht vor: «Ich umschiffe diesen Satz, weil ich nicht in die Klischeefalle tappen will.» Als Lorenz Jäger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf diese Haltung eine Glosse schrieb, keimte im Deutschen Literaturarchiv der Gedanke, eine Ausstellung zu dem bekanntesten Satz aller Sprachen auszurichten: Ich liebe Dich! Schließlich bilde er die «heiße Quelle», aus der sich Literatur und Leben gemeinsam speisen. Was nun in «66 + 6 Beispiele von Goethe bis Gernhardt» durch rosa gefärbte Gläser chronologisch an dünnen Seilen zwischen Himmel und Erde gehängt und «nicht weiter unter­schieden in realen und fingierten Liebeserklärungen» im Marbacher Literaturmuseum der Moderne zu sehen ist, führt zu den unterschiedlichsten Expressionen existenzieller Höhenflüge wie Abgründe.
«Soll ich jetzt mal eine Seite lang schreiben wie ich Dich liebe?», fragt die bald 23-jährige Ricarda Huch in einem Brief vom 25. Juni 1887 ihren Vetter Richard Huch, den Ehemann ihrer Schwester Lilly. Im Jahr 1897 heiratet sie Ermanno Cecconi, lässt sich 1906 von ihm scheiden, um 1907 ihren Richard zu heiraten. Doch die alte Liebe zerbricht, und 1911 folgt die Scheidung. Der ausgestellte Brief lässt – flüchtig, ahnungsweise zwar, aber dennoch erschütternd – in kompliziertest miteinander verwobene Lebens- und Schicksalsfäden blicken.
Der gerade 24 Jahre alt gewordene Rudolf Borchardt schreibt am 3. Juli 1901 an die drei Jahre jüngere Kurbekanntschaft Margarete Ruer: «Ich nehme an, dass es Ihnen sehr gleichgültig ist, ob ich Sie liebe, aber gar nicht gleichgültig, wie ich es ausdrücke.»
Und Franz Kafka, 37-jährig, schreibt am 30. Juli 1920 an die 24-jährige Milena Jesenská, die 1919 seine Erzählung Der Heizer ins Tschechische übersetzt hat und die mit dem Schriftsteller Ernst Polak verheiratet ist: «Du willst immer wissen, Milena, ob Dich lieb habe, aber das ist doch eine schwere Frage, die kann man nicht im Brief (nicht einmal im letzten Sonntagsbrief) beantworten.»
Dabei haben sie sich nur sehr wenige Tage überhaupt gesehen.
Am 9. August 1920 schreibt er ihr wieder: «Da ich Dich liebe (und ich liebe Dich also, Du Begriffstützige, so wie das Meer einen winzigen Kieselstein auf seinem Grund lieb hat, genau so überschwemmt Dich mein Liebhaben – und bei Dir sei ich wieder der Kieselstein, wenn es die Himmel zulassen) …»
Oder Gottfried Benn, 68-jährig, schreibt am 18. Dezember 1954 an die 27 Jahre jüngere Ilse Kaul, die er 1946 heiratete, folgendes Billet: «Ich liebe Dich wie vor 8 Jahren. Ich liebe Dich noch viel mehr – ich liebe nur Dich. Mir würde das Herz brechen, wenn Du mich nicht mehr liebtest. Ich bin nur Deiner. Kuss! G.»
Dabei verschweigt er, dass er an eben diesem 18. Dezember mit seiner 33-jährigen Geliebten Ursula Ziebarth ein vorgezogenes Weihnachtsfest feiert.
Es sind also süße und bittere Zeugnisse der Liebe, die jetzt in Marbach zu sehen sind, bei denen man die eigentümliche Erfahrung machen kann, dass die realen einem noch viel inten­siver zu Herzen gehen als die fiktiven.
Verliebt hab ich mich in das Exponat 34. Es ist ein langer mitter­nächtlicher Brief vom 7. Dezember 1931 von der 22-jährigen Hilde Domin an den 21-jährigen Erwin Walther Palm. Jeder Besucher wird wohl aus ihm eigenen Gründen – wie in der Liebe überhaupt – sein eigenes Lieblingsexponat in dieser von Heike Gfrereis in Zusammenarbeit mit Michael Lentz und Sibylle Lewitscharoff gestalteten schönen Ausstellung in Marbach am Neckar finden.