Titelbild Hochformat

Brigitte Werner

Denni, Klara und das Haus Nr. 5

Nr 143 | November 2011

gelesen von Simone Lambert

Klara ist ein ganz normales kleines Mädchen, ein Schulkind. Na gut, vielleicht ist sie ein bisschen klein, manche hänseln sie deswegen. Sie hat Ängste, beispielsweise vor Maren und Sven, pöbelnden älteren Schülern mit einem Hang zur Grausamkeit. Manchmal kann sie nicht so richtig ausdrücken, was sie meint. Sie ist oft allein, weil ihre Mutter arbeitet. Und sie liebt den Friedhof, diesen stillen Ort, wegen des Lichts und der Schatteneffekte. Klaras ödes Nachmittagsdasein findet ein abruptes Ende, als neue Mieter in das Haus in der Bebelstraße Nr. 5 einziehen: Denni und sein Vater. Denni fällt auf, denn was er denkt und fühlt, das drückt er aus - eindeutig, intensiv und oft poetisch. Er malt zauberhafte Bilder und spielt auf der Mundharmonika kleine, sehnsuchtsvolle Weisen. Mit seinem Charme und seiner liebevollen, entwaffnenden Art erobert er nicht nur das Herz der schroffen Nachbarin Frau Schönegans, auch der Bluthund des knurrigen Hausmeisters kann ihm nicht widerstehen. Mit Denni wird alles anders im Haus. Schnell entwickelt sich eine Freundschaft zwischen Klara und Denni, und als dann die Sommerferien anfangen, bleibt Denni ihretwegen zuhause. Aber dann passiert etwas Blödes …
Denni ist ein Kind mit Down-Syndrom. Klara weiß darüber nichts, begreift aber, dass er besonders aussieht und anders spricht und dass die Menschen schnell eine Meinung über ihn haben: Frau Schönegans schimpft zunächst, der hätte ihnen noch gefehlt, und der Hausmeister will den Jungen gleich ins Heim stecken. Aber Dennis emotionale und soziale Kraft öffnet die Türen dieses tristen Hauses und die Herzen seiner Bewohner, die sich plötzlich gegenseitig entdecken und helfen. Die Konflikte, die eine gesellschaftliche Ignoranz widerspiegeln, und ihre Lösungen hat Brigitte Werner in ihrem kleinen Kinderroman wunderbar aufrichtig und sprachlich beeindruckend entwickelt. Sie erzählt, wie die Freundschaft zu Denni Klara aus ihrer Isolation befreit und wie sie lernt, ihre Gefühle zu verstehen, ihnen zu vertrauen und einzustehen für das, was sie wichtig und richtig findet. Als Sven und Maren Denni erneut verspotten und bedrohen, wehrt sie sich lautstark, und auch als der Hausmeister die Kinder vor den Friedhofswärtern der Grabschändung beschuldigt, da fallen der sonst so schüchternen Klara genau die richtigen Worte und Argumente ein. Brigitte Werner beschreibt das Innenleben ihrer kleinen Protagonistin bilderreich und mitunter fast lyrisch. So bleibt das Buch dank seiner phantasievollen Sprache nah an der Sicht und Empfindungsfähigkeit von Kindern und verleiht ihm zugleich eine Reife, zu der auch Erwachsene Zugang haben.
Die Sommerferien werden doch noch zu Wundertagen – mög­licherweise hat der Engel damit zu tun, jene Grabskulptur, die Denni und Klara mit glücklichem Eifer von Moos und Schmutz säubern wollen: als Schutzengel, aber auch als assoziativer Hinweis auf Denni selbst und seine segensreiche Wirkung spielt er seine Rolle in der Geschichte. In Birte Müllers expressiven Bleistiftskizzen dagegen ist Denni ein liebenswerter, lustiger
kleiner Rabauke, dem die etwas zu lange Zunge immer ein bisschen aus dem Mund ragt. Auf jeden Fall ist er die schillernde, facettenreiche Figur in dieser Entwicklungsgeschichte: freudig, einfallsreich, versöhnlich und voller Verwandlungskraft.

Eine Geschichte über eine besondere Freundschaft, das Entdecken des Andersseins und die Freude daran und über viele Wunder zum Staunen.