Titelbild Hochformat

Maren Briswalter

Pole Poppenspäler

Nr 144 | Dezember 2011

gelesen von Simone Lambert

Über Theodor Storms Novelle Pole Poppenspäler, erstmals 1874 in der Zeitschrift Deutsche Jugend als Auftragsarbeit veröffentlicht, sind sich die Deuter einig: ein frühes, vor Mannsches Künstler­drama. Die Erzählung des Handwerkers Paul Paulsen ist aber vor allem eine Liebesgeschichte zwischen Ungleichen und ein Lehr­stück über das Fremdsein.
Als eines Tages eine Marionettenspielerfamilie in Pauls Heimat­stadt auftauchte, begeisterte sich der Handwerkersohn nicht nur für das Puppenspiel, sondern vor allem für Lisei, die Tochter, mit ihrem süddeutschen Dialekt und den dunklen Haaren. Paulsen erinnert sich, wie er den Kasper zerbrach und die Freundschaft zwischen den Kindern die erbosten Eltern wieder gütig stimmte – sein Vater reparierte dann die kostbare Puppe. Paul litt, als er
sich verabschieden musste, weil das Theater weiterzog. Jahre
später arbeitet er als Drechslergeselle in Heiligenstadt, als er eines eisigen Januartages eine Szene beobachtet, die ihn fesselt: Eine junge Frau bettelt um Einlass in das Gefängnis, den ihr der Gefängnisinspektor hartherzig verweigert. Paul folgt ihr, spricht sie an und erkennt in ihr Lisei. Ihr Vater war zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt worden; bald erweist sich seine Unschuld und er kommt frei.
Jetzt setzt der dritte Teil der Binnenerzählung ein: Paul und Lisei beschließen zu heiraten und ziehen gemeinsam in Pauls in­zwischen verwaistes Elternhaus in Norddeutsch­land. Liseis verwitweter Vater geht hier auf sein Altenteil. Ein letztes Mal will er die Marionetten spielen, doch man verhöhnt ihn. Das bricht den Mann. Am Ende wird ihm der verschwundene Kasper über die Hecke ins Grab nachgeworfen: Die «Ruch­losigkeit» erkennt auf perfide Art ein Lebenswerk an und vereint Meister und Puppenknecht im Tod.
Maren Briswalter setzt den bearbeiteten und gekürzten Novellen­text in wunderbare nostalgische Bilder um. Ihre Zeichnungen sind zart und transparent, aber auch voller Details und Realismen. Sie zeigen eine behäbige norddeutsche Idylle mit typischen Back­stein­häusern und historischen Stadtansichten, in die – exotengleich – die Puppenspieler einziehen und das Leben des verträumten Paul verändern. Die Marionetten scheinen da­gegen in bläulichem Äther zu schweben und zeugen von einer anderen Welt.
Obwohl beliebt, stand das Puppenspiel in schlechtem Ruf. Fahrende Leute gehörten der Unterschicht an; sie galten als un­durch­sichtig und unkontrollierbar. Der Kasper war Symbol für die Freiheiten, die sie aussprachen und sich herausnahmen. So galt das Puppentheater lange als Teufelswerk – eine Angst, die heute keiner mehr versteht. Briswalter erinnert daran, wenn sie die Teufelsmarionette im Fenster des Paulsen-Hauses hängen lässt.
Die angenommene Sesshaftigkeit bietet Lisei und ihrem Vater Schutz – als bürgerliches Ideal aber wird sie ihnen gefährlich, weil es nomadisch Lebende feindselig betrachtet. Die Liebe zwischen Paul und Lisei, zwischen dem soliden Handwerker und der fahrenden Künstlerin harmonisiert die Gegensätze, doch Paul büßt dafür gesellschaftliches Ansehen ein: Pole Poppenspäler wird er noch im Alter genannt. Maren Briswalters ruhige Bilder haben die Kraft, die Tiefe von Paulsens Charakter, in der diese Erinnerung verborgen liegt, zu reflektieren.

Ein frühes Künstlerdrama – und vor allem eine Liebesgeschichte zwischen Ungleichen und ein Lehrstück über das Fremdsein.