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Auf einer Wort-Spur zum Wesen

Christa Lichtenstern

Nr 146 | Februar 2012

Zu Elsbeth Weymanns «Wege im Buch der Bücher»

Wege im Buch der Bücher ist ein eminent modernes, erhellendes und begeisterndes Buch. Modern erscheint es durch seine vielfältigen Anregungen zum Weiterdenken wie auch durch die Art, in der hier dem Leser komplexe theologische und altphilologische Sachverhalte nahegebracht werden – auch wenn er nicht der hebräischen und der griechischen Sprache mächtig ist. Erhellend ist es durchweg, z.B. wenn die Autorin aufzeigt, wie die frühe Christenheit zu einer Zeit, die keinen Atheismus kannte, selbstverständlich mit der Gegenwart des Alten Testamentes lebte und so die tradierten Worte Christi in ihrem beziehungsreichen Bedeutungsumraum verstehen konnte. Begeisternd ist das Buch nicht zuletzt durch seinen künstlerischen Grundzug, der den Leser in Weymanns atmende Sprechtexte aufnimmt. Mitunter werden wie in einem modernen Gedicht Zeilenbrüche verwendet. Folge richtig und ganz unprätentiös gelangt die Autorin denn auch in «Pfingsten», wo sie uns aus den Quellen mit der Existenz eines weiblichen Hl. Geistes überrascht, zu einer eigenen schlüssigen Gedicht-Gestaltung.

Elsbeth Weymann übersetzt und deutet dreizehn ausgewählte Kerntexte des Neuen Testaments auf der Basis des aktuellen theologischen Forschungsstandes, ohne dabei schwer zu werden. Alles bleibt klar und durchsichtig. Dem dient auch die Anwendung der alten Texterschließungsmethode nach dem «dreifachen Schriftsinn».
Die Erklärungsstufen von «historisch», «moralisch» und «erkenntnisorientiert» geben dem Leser Sicherheit auch auf schwierigem Gelände wie z.B. bei der Erläuterung der Geschichte von Christus und der samaritanischen Frau.
Ein weiterer spezifischer Ansatz Weymanns ist die Grammatik. Bei ihr lernt man die schwierige alte Dame ganz neu schätzen, ja geradezu lieben. Man erfährt, dass die Grammatik im Mittelalter von der Antike her als Personifikation hoch geschätzt wurde. Als solche eröffnete sie den «Übungsweg» der Sieben Freien Künste, der zur Erkenntnis der göttlichen Weisheit führen sollte. So etwa dargestellt am Westportal der Kathedrale von Chartres. Die entsprechende Reliefszene lehrt uns Weymann neu sehen. Ihr Fazit: Heute kann es «sehr hilfreich sein, grammatikalische Formen zwar nicht mehr als Wesen, dennoch aber durchaus als wesentlich, als eine eigene Ausdruckssprache zu beachten und bei der Übersetzung
bewusst mit einzubeziehen.»

Grammatik derart als lebendiges, ausdrucksbestimmendes Instrument gehandhabt, kann zu beglückenden Resultaten führen. Zum Beispiel beim «Magnifikat», dem großen Hymnus der Maria – von J. S. Bach unübertroffen vertont. Im Originaltext dominiert eine im Deutschen unbekannte Verbform, der Aorist, der nach griechischem Verständnis auf eine «grenzenlose oder zeitlose Zeit» verweist.
Mariens Preisgesang auf Gottes Wirken, das durch «Äonen» greift, spricht somit, innerlich real, in eine zeitlose Weite hinein.

Aus der grammatikalischen und etymologischen Präzisionsarbeit dieses Buches wären noch viele Beispiele anzuführen. Ich nenne nur Weymanns mutige Neudeutung des Prologs «Am Anfang war das Wort», wo genau besehen der «Logos» in seiner Bewegung auf Gott hin angesprochen und in dieser Bewegung zugleich das tätige Moment des Hl. Geistes, das heißt insgesamt «die Trinität als
Prozess», so Weymann, angerufen wird.

Die hier gebotenen Texte – übrigens mit farbigen Bildbeispielen gut begleitet – lassen sich Kapitel für Kapitel unabhängig voneinander lesen, ohne dass sie deshalb ihren inneren Zusammenhang
verlören. Dies gelingt Elsbeth Weymann, indem sie ihre Leser auf eine «Wort-Spur zum Wesen» führt. –Wer heute den Evangelien sich über die Sprache denkend nähern will, der findet in diesem Buch, frei und undogmatisch, einen Wegbegleiter, nach dem er schon lange gesucht hat.