Frank Berger

Leben mit dem Übergänglichen

Nr 150 | Juni 2012

Ich sitze auf meiner Terrasse und beobachte fasziniert den Sonnenuntergang. Nur wenige Augen­blicke, dann wird die rote Scheibe hinter dem Horizont versunken sein. Es geht unglaublich schnell – zu schnell, um die Kamera zu holen und diesen kostbaren Anblick festzuhalten. Sekunden später ist alles vorbei. Nur ein schwacher rötlicher Schein über dem Streifen der fernen Hügelzüge kündet von dem, was sich soeben ereignet hat …
Kostbare Momente sind die Domäne und das Lebenselixir der Fotografen. Dies wurde mir bewusst, als ich die «augenblicke» betrachtete, die unser «Haus- und Hoffotograf», Wolfgang Schmidt, bei seiner Reise durch die unbekannte Eifel vor der Vergänglichkeit bewahrt hat. Was durch sein Auge gegangen ist, ist verwandelt, ja «ver-ewigt», wie die Sprache es ganz richtig ausdrückt.
Von der Magie der ganz entscheidenden Augenblicken lebt auch jeder gute Roman, insbesondere jeder gelungene Krimi – eine Literaturgattung, in welcher es unser Gesprächspartner Jacques Berndorf zu beachtlicher Meisterschaft gebracht hat. Auch er ist in der Eifel ansässig und wird von ihr inspiriert – ein Grund, seinem Fall einmal genauer nachzugehen.
Das Ergreifen und Nutzen des «Dazwischen» ist manchmal lebensentscheidend, ja sogar lebensrettend: Als der finnische Dirigent Leif Segerstam beim Musizieren einmal seinen Taktstock verlor, landete er zu Füßen einer jungen Dame. Die beiden ergriffen diesen kurzen Moment offenbar in der rechten Art, denn gut ein Jahr später waren sie ein Ehepaar. Und Edith Russell, eine Überlebende der Titanic-Katastrophe, erinnert sich, dass «ein Gentleman» sie geistesgegenwärtig einfach um die Hüfte fasste und kopfüber ins Rettungsboot warf …
Überall, wo wir ins Übergängliche – so nannte es Goethe – kommen, öffnen sich neue Möglich­keiten, neue Dimensionen. Wir sollten sie nicht versäumen.

Ich wünsche Ihnen viele erfüllte Augenblicke!

Frank Berger