Ralf Lilienthal

Überwiegend unbeschreiblich

Nr 150 | Juni 2012

Eine Annäherung an die Eifel

Die Eifel? Ja? Welche Eifel hätten Sie denn gern? Die nordrhein-westfälische oder die rheinland-pfälzische? Die Nord-, die Hohe-, die Schnee-, die Mosel-, die Ahr-, die Vulkan-, die Süd-Eifel oder die Eifel des Hohen Venn …?
Hinter solchen nüchternen Aufzählungen versteckt sich ein Fächer sehr verschiedener Landschaften und insgesamt eine Region der Kontraste und Extreme. Die Eifel, das ist ... Nun ja, kommt drauf an, wo Sie sich gerade aufhalten: Fichtenplantagen oder National­park-Urwald? Der Rursee, Deutschlands zweitgrößte Talsperre, oder das gute Dutzend der im Landschaftsgold ge­fassten, blau­­-schwarzen Maar-Edelsteine? Bauerndörfer, Bilderbuchfachwerk­städtchen oder gewerbefleißige Kreisstädte? Die barocke Zister­zienser Basilika in Himerod oder der moderne Kontemplativbau der Bruder-Klaus-Kapelle? Wer einen großen Koffer verschiedener Objektive in der Seele trägt, kommt im ehemaligen Armenhaus Deutschlands – «Preussisch Sibirien» genannt – mit dem Scharf­stellen so schnell an kein Ende! Erst recht nicht, wenn er die touristische Eifel hinter sich lässt und nach der Eifel der Personen und Institutionen fragt.

Vielleicht nach Preutes Eifel? Denn 1984, als der künftige Eifel-Krimi-Chronist Jacques Berndorf noch Michael Preute hieß und gerade in den Eifelflecken Berndorf gezogen war, zeigte sich dem Journalisten die Welt in einem sehr eigenen Licht. «Das Erste, was ich zu bewältigen hatte, war die Stille. Und, viel schlimmer, die Depressionen. Nicht bei mir, nein, ich entdeckte einen ganzen Volksstamm, die Eifeler Landwirte, die ziemlich bedrückt und wort­­karg in der Küche saßen und oft nichts taten, als durchs Fenster zu starren.» Warum? «Die hatten sauber gekehrte Scheu­nen, Trecker, die beim ersten Zündfunken ansprangen – aber buch­stäblich keinen Boden mehr unter den Füßen, den man beackern konnte.» Denn die Hoferben hatten sich verweigert und fuhren längst zur Arbeit nach Koblenz oder Köln; im Wissen darum, was sie andernfalls erwartet hätte: «Warum soll ich hier den Landwirt machen? Mit einem Einkommen, das lächerlich ist. Dann kriegst Du auch noch diktiert, wie viel Kühe du halten darfst. Und am Ende bleibt ein Haufen Schulden.» Die Eifel also noch immer eine Hungerprovinz und Auswanderregion?

Oh nein, denn Berndorfs Eifel sieht ganz anders aus! «Guck dir heute die Vierzig- bis Fünfzigjährigen an! Mutige Leute. Die haben harte Jahre hinter sich. Die Väter mit Jobs, für die man weit fahren muss, während ihre Frauen zuhause den Laden schmeißen und vielleicht noch Nachtwache im Krankenhaus schieben. Um in einer Welt wie der heutigen durchzuhalten, haben die Eifeler unglaublich viel geleistet. Ich habe erlebt, dass alte Leute im Angesicht ihrer Enkel plötzlich wieder Mut kriegten. Das Miss­trauen, die Wortkargheit gibt es nicht mehr, die sind weg, und ich war 25 Jahre lang Zeuge dieses erstaunlichen Wandels!»

Also die Neue Eifel! Verkörpert von Menschen, die hier bleiben, hierher zurückkommen oder neu dazuziehen, weil es Sinn für sie macht! Diese Menschen haben Veränderungen bewirkt, die man sehen kann: «Die Eifeler haben ihre eigene Baukultur früher nicht so geschätzt, bis die Kölner und Rheinländer begannen, alte Häuser und Höfe aufzukaufen und umzubauen. Überhaupt der Zuzug von außerhalb! Menschen, die im Alter hierher kommen. Menschen, die hierher kommen, um Nahrungsmittel zu produzieren, weil das Wasser gut und die Luft rein ist. Menschen, die die kreative Ruhe schätzen. Inzwischen gibt es sogar ‹niederländische Eifelbio­graphien›, Menschen, die bei uns Land kaufen, weil das bei ihnen unerschwinglich ist.» Und es gibt Menschen, die, wie die soeben zitierte Verbandsgemeindebürgermeisterin von Hillesheim, Heike Bohn, als gebürtige Eifler in ihre Heimat zurückfinden, weil sie sich und ihren Kindern alles das gönnen wollen, was die Eifel heute ausmacht. Dass die Eifel neue Qualitäten hat, beweist sich in Heike Bohns Fall unmittelbar. Denn die Mitvierzigerin ist Bürger­meisterin ohne Parteibuch und gehört damit zu einer Spezies, die noch vor wenigen Jahren in der erzchristdemokratischen Region undenkbar gewesen wäre. Als sie 2003, unterstützt von SPD, FDP und FWG, zur Wahl antrat, wurde sie von ihren Gegnern zuerst belächelt, dann bekämpft und schließlich, nach errungenen 58,6 % ungläubig bestaunt – von den 82,7 % bei ihrer Wiederwahl 2011 ganz zu schweigen. Eifelkommunalpolitik heute – das ist? «Unsere Probleme sind die gleichen, wie überall auch – nur etwas anders! Die demographische Entwicklung: Wie entwickelt man neue Wohn- und Lebensformen in einem Einhundert-Seelen-Dorf? Die Infrastruktur: Wie siedelt man neue Betriebe an, ohne An­schluss an die so wichtigen Asphalt- und Datenautobahnen? Die Energiewende:?Wie produziert man in einer Touristenregion Strom aus Windkraftwerken, ohne die Feriengäste zu vergraulen?»
Womit der Kreis geschlossen wäre. Denn tatsächlich dreht sich auch der berufliche Kosmos einer Bürgermeisterin von Hillesheim oft genug um die Achse des Tourismus. Das Pfund, mit dem sie dort am sichtbarsten wuchern, ist mit Verlag, Café und Buch­handlung, Ralf und Monika Kramps «Kriminalhaus», inzwischen ein Mekka der deutschen Krimiszene. Doch auch wenn der Eifel-Krimi mehr und mehr Menschen in die Region lockt, die beiden großen Publikumsmagnete der historischen Eifel sind wohl un­erreicht. Das sind, noch immer von Benediktinern bewohnt und höchst rührig bewirtschaftet, Kloster Maria Laach und einer der weltweit berühmtesten Adelssitze überhaupt, die Burg Eltz.
Doch als 1157 der Urahn der Grafen und Edlen Herren von und zu Eltz auf einem Felsbrocken im schmalen Elzbach den Grundstein zum Stammsitz seines Geschlechts legte, reiste man nicht um des Reisens willen. Die mittelalterliche Eifel war, wie viele waldreiche Regionen, unsicheres Land. Und ob Kaufleute, Bauern oder Boten – wer immer die festen Mauern hinter sich ließ, brauchte Schutz. Zum Glück für die Eltzer Herren. «Meine Vorfahren sicherten den Warentransport von der Mosel hinauf nach Münstermaifeld und reklamierten dafür ein Vierundachtzigstel des transportierten Warenwerts.» Doch wenn Karl Dr. Graf zu Eltz, in dreiunddreißigster Generation verantwortlich für die Eifeler Bilderbuch-Burg, erzählend die Historie seiner Familie Revue passieren lässt, tritt das Bild der wehrhaften Ritter bald in den Hintergrund und macht einem anderen Platz. Denn die Eltzer waren in den unsicheren Zeitläuften seit der ersten, verlorenen Fehde mit dem Trierer Erzbischof Balduin stets weniger mächtig als vielmehr klug. Was nicht zu beweisen ist, denn die Burg Eltz steht noch! Für einen starken Belagerer jederzeit angreifbar, höchst verletzlich, aber dennoch über alle Jahrhunderte ungeschliffen. Ein atemberaubendes, vierunddreißigtürmiges Geschichts-Denkmal, das an einem dunstigen Sommer­morgen im waldreichen Talgrund plötzlich vor dem Spaziergänger aufwächst, als wäre er in der Zeit zurückgereist.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

Noch weiter in der Zeit zurück und zugleich vollständig in der technischen Moderne ange­kommen ist der Eifelfahrer am Tatort einer weiteren Weltberühmtheit. Denn die edelstahlglänzenden Ab­­­füll­­anlagen des Gerolsteiner Mineralbrunnens, haben gewissermaßen eine Standleitung ins Herz der geo­logischen Eifel. Und die ist hierzulande wirklich unvergleichlich! Die kreisrunden Eifelmaare, die 120 Tonnen schwere Strohner Lavabombe, der halbstündig bis zu vier Meter aufsteigende Kaltwassergeysir in Wallenborn, die kilometerlangen Mendiger Basalthöhlen – in der Eifel zeigt es hundert- und tausendfach in heiße, bis in die jüngste Erd-Vergangenheit eruptive Tiefen. Wovon seit 1888 auch das Wasser des Gerolsteiner Brunnens zeugt. Fünfzig Jahre und länger ist das Regenwasser im Dolomit-Gestein der Gerolsteiner Mulde unterwegs, reichert sich mit der aus magmatischen Prozessen aufsteigenden Kohlensäure an und löst mit ihrer Hilfe reichlich Calcium und Magnesium aus. Das Ergebnis der in etwa 200 Meter Tiefe angezapften Quellen? Eines der am höchsten mineralisierten Mineralwässer überhaupt. Und, mit fast 6 Millionen Hektolitern Jahresförderung – abtransportiert von bis zu 600 LKW am Tag – Deutschlands meistgekauftes.

Die Eifel – wie resümiert man eine Begegnung, die in lauter Einzelerfahrungen, in Erlebnis- und Wissenssplitter zu zerfallen droht? Über die subjektiven Höhepunkte? Der in Dämmerung und Nacht mündende Spaziergang um das vom scharfen Kraterrand begrenzte Meerfelder Maar – oben der funkelnde Sternenhimmel, unten stillschwarzes Wasser, dazwischen der Betrachter, wie ein Wesen außerhalb der Zeit. Oder der buchstäblich unter die Haut gehende Abstieg aus schwül-gewittriger Sommermittagsstunde, durch ein unsichtbares Kältetor im Dunstkreis der Eishöhlen am Rother Kopf. Die haushohen, von magischen Durchblicken geöffneten Höfener Rotbuchenhecken im Monschauer Land. Das steingewordende Mittelalter der Fehden und Dynastien, Macht gegen Macht, unmittelbar erfahren im Blick auf die Doppelruine der Manderscheider Ober- und Nieder-Burg.

Die Eifel? Einige Hundert Ausflugskilometer und viele tausend Worte, am Ende kristallisiert in einer unscheinbaren Szene. Der Ort: Die Eckfelder Ausgrabungsstätte. Fisch-Fossilien, Laufkäfer, Krokodile, Urpferdchen – eine weltweite Kultstätte der Paläonto­logie. Studenten heben hier tagein, tagaus, Schicht um Schicht des milimeterfein gelagerten Sedimentes ab. Der Rückweg aus dem Trockenmaar-Kessel führt durch feuchten, flechtenwilden Wald. Plötzlich quert ein schwarzblau glänzender Laufkäfer den Weg, zielstrebig, unbeirrbar. Und im gleichen Moment schnurren 50 Millionen Jahre ins Nichts dieses gegenwärtigen Moments zusammen. Gestern. Heute. Und dazwischen das zielstrebige Krabbeln der Unbeirrbaren. Bauern, Bürgermeister und Burg­herren. In der Eifel wie anderswo. Aber eben auch in der Eifel.

«Um in einer Welt wie der heutigen durchzuhalten, haben die Eifeler unglaublich viel geleistet. Ich habe erlebt, dass alte Leute im Angesicht ihrer Enkel plötzlich wieder Mut kriegten. Das Misstrauen, die Wortkarg­heit gibt es nicht mehr, die sind weg, und ich war 25 Jahre lang Zeuge dieses erstaunlichen Wandels!»
Jacques Berndorf