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Dominik Rose

Auf nach Indien!

Nr 154 | Oktober 2012

So sehr sich die einzelnen Hauptfiguren – allesamt ältere Semester mit einigen Neurosen im Gepäck – in der fröhlichen, leicht über­drehten britischen Komödie The Best Exotic Marigold Hotel auch voneinander unterscheiden, so sind sie doch geeint in dem Wunsch, ihr enttäuschendes Altersdasein daheim in England hinter sich zu lassen, um dem Leben im fernen Indien ein paar neue Impulse zu verleihen. Die melancholische Evelyn (Judi Dench) etwa hält nichts mehr zu Haus, seit ihr Ehemann verstorben ist und sie mit einigen finanziellen Sorgen zurückgelassen hat. Norman (frech und witzig: Ronald Pickup) und Madge (Celia Imrie) sind auf der Suche nach amourösen Abenteuern, während die Ehe von Douglas und der streitsüchtigen Jean (Bill Nighy und Penelope Wilton) vermutlich mehr als nur einen Tapetenwechsel nötig hätte. Die illustre Seniorenrunde wird komplettiert von Muriel (Maggie Smith), die eigentlich alle Inder verabscheut und nur in Aussicht auf eine günstige Hüft-OP in die alte britische Kolonie reist, und dem desillusionierten Richter Graham (Tom Wilkinson), der von einer schmerzhaften Erinnerung an seine Jugendzeit in Indien geplagt wird.
Alles in allem also reichlich Stoff für Konflikte und Komplexe, die in der Ferne aufgearbeitet werden müssen. Regisseur John Madden, der schon mit dem oscargekrönten Shakespeare in Love viel Sinn für Situationskomik bewiesen hat, breitet genüsslich den Kulturclash aus, dem sich die komfortverwöhnte Gruppe aus England nach ihrer Ankunft ausgeliefert sieht: Das Leben in Jaipur ist von Chaos, Lärm und Gestank geprägt, während die in den Werbebroschüren so verheißungsvolle Unterkunft des «Best Exotic Marigold Hotels» sich als Bruchbude entpuppt, die unter der konfusen Leitung des improvisationsfreudigen Sonny (Dev Patel aus Slumdog Millionär) unaufhaltsam in Richtung Bankrott schlittert.
Die krasse Konfrontation mit der fremden Kultur dient dem Film nicht nur als willkommene Vorlage für diverse Gags, sondern funktioniert zugleich als eine Art Katalysator für die unbewältigten Probleme, die seine Protagonisten in ihrem zur trägen Routine erstarrten Alltag nicht haben lösen können.
The Best Exotic Marigold Hotel ist zwar in seinem Kern eine klassische Feelgood-Komödie mit schrillen, in der Mehrzahl sympathischen Figuren, aber es bleibt auch Raum für nachdenkliche Momente, in denen existenzielle Themen wie Vergäng­lichkeit und Tod angeschnitten werden. Es gelingt dem Film zumeist sehr gut, zwischen den eher schwermütigen und den komödiantischen, verspielten Szenen zu wechseln, wobei der optimistische Grundton und der unbedingte Wille zum Happy End klar dominieren.
Ein entscheidender Trumpf ist die namhafte Schau­spieler­riege, die wunderbar miteinander harmoniert. Bill Nighy, der schon oft mit seinem Talent für schrille Charaktere geglänzt hat (z.B. in Tat­sächlich Liebe), punktet hier in einer eher subtilen, nachdenklichen Rolle, während ein Wiedersehen mit Tom Wilkinson (Michael Clayton) oder den Grande Dames Judi Dench und Maggie Smith fast immer einen Kinobesuch lohnt. Da verzeiht man dem Film gern, dass mancher Handlungsstrang schon recht vorhersehbar angelegt ist und das skizzierte Indienbild natürlich eine ganze Reihe von Klischees bedient. Aber es geht ja ohnehin weniger um das Porträt einer fremden Kultur, sondern um den Reife­prozess, den eine Reise in die Ferne ganz unabhängig vom Alter auslösen kann.

Der Film, «Best Exotic Marigold Hotel», GB/Indien 2012, ist seit Juli auch auf DVD erhältlich.

Das Bild zeigt Judi Dench und Celia Imrie
Szenenfoto: Ishika Mohan © Twentieth Century Fox Film Corporation.