Liesbeth Bisterbosch

Venus bei Regulus

Nr 154 | Oktober 2012

Am 3. Oktober bietet der Morgenhimmel ein schönes Schau- s­­piel. Die helle Venus und der bläuliche Regulus befinden sich beim Aufgang ganz nahe beieinander. Venus erscheint um 3.37 Uhr; Regulus, der hellste Stern des Löwen, nur eine Minute später. Suchen Sie ihn links unterhalb von ihr. Am klaren, dunklen Himmel kann Venus so groß aussehen, dass ihr Licht schon den Stern streift. Der Stern steigt ein wenig schneller empor als Venus – sie kommen einander noch näher. Ab 6 Uhr verblassen sie nach und nach; links von Venus bleibt ein zartes Licht­pünktchen erstaunlich lang beobachtbar. Sieht der Abstand zwischen ihnen am blauen Himmel größer aus als vorher am dunklen Himmel? Am hell werdenden Himmel verringert sich ja die Größe der Lichter. Ab etwa 7 Uhr, Regulus hat fast die gleiche Höhe wie Venus erreicht, ist nur Venus sichtbar. Eine halbe Stunde später ist die Sonne da. Regulus wird am nächsten Morgen um 3.34 Uhr wieder erscheinen, Venus erst 5 Minuten nach ihm.
Regulus, der knapp nördlich der Sonnenbahn steht (siehe das rechte Bild, Quelle: Johannes Bayer, 1603), hat viel häufiger einen Planeten in seiner Nähe als die anderen, hellen Sterne des Tierkreises. Die Babylonier nannten ihn LUGAL («Stern des Königs»). Er gehörte zu ihrem Sternbild UR.GU.LA («Löwe»).
Ein Keilschrifttext aus der Periode von 1530 – 1160 v. Chr. liefert den ältesten Bericht über dieses Sternbild. Damals wurde der Löwe im heißen zweiten Sommermonat am Ende der Nacht von Woche zu Woche besser sichtbar. Auch für die alten Griechen hat der Löwe mit der Hitzeperiode zu tun. Der Dichter Aratos schrieb etwa 270 v. Chr., dass die Getreidefelder leer von Ähren sind, wenn die Sonne zum ersten Mal im Löwen aufgeht. «Dort durchwandert die Sonne die heißesten Pfade des Sommers.»
Die Griechen stritten über vieles: So waren beispielsweise die Auffassungen darüber, welche Sterne untergehen, wenn der Löwe aufgeht, und die Positionen der Sternbilder zueinander, recht unterschiedlich. Über die Art und Weise, wie der himm­lische Löwe aussah, waren sie sich jedoch durchaus einig. Sein Kopf und seine Brust erschienen im Osten als Erste, der hellste Stern war der Stern im Herzen des Löwen. «Wo Aratos die rechte oder linke Seite eines Sternbildes bezeichnet, stimmt seine Angabe mit der Annahme überein», berichtete etwa der große Astronom Hipparch (190 – 120 v. Chr.).
Aratos und Hipparch hielten die Sternbilder für die Arbeit eines Erfinders aus alten Zeiten. Dieser hätte die vielen Sterne nicht benennen können und daher die Idee gefasst, deutliche Gestalten zu bilden und diesen einen Namen zu geben. Die einzelnen Sterne ließen sich in die klaren Bilder einfügen – und so gelang es ihm auch, diese zu benennen. Hipparch schrieb dazu, dass die Sternbilder für unseren Standort gestaltet seien, denn sie bieten ja eine Profilansicht. Ihre Gestalt sei zudem «vom künstlerischen Standpunkte durchaus gerechtfertigt und angemessen.»
Am 3. Oktober können wir, wie die Griechen es taten, den Himmel bildhaft betrachten: Ein sich kräftig aufbäumender Löwe erscheint, und Venus (die griechische Liebesgöttin Aphrodite) vereinigt sich mit seinem Herzen.