Jean-Claude Lin

Morgen ist ein neuer Tag

Nr 155 | November 2012

Ich fasse es kaum. Es ist schon einundzwanzig Jahre her, da erschien im November 1991 ein schmales Bändchen von Pascal Quignard: Tous les matins du monde, ein Roman, der von einem Gambenspieler und Komponisten des Barock, Monsieur de Sainte-Colombe, handelt. Nach dem Tod seiner Frau zieht er sich vom Leben am glanzvollen Hof Ludwigs XIV. zurück. Er fügt an seinem Instrument eine siebte Saite hinzu, um noch tiefere Töne spielen zu können und seine trauernde Seele lebend hinüber ins Reich der Verstorbenen zu führen. Gleichzeitig mit dem Buch kam der Film von Alain Corneau mit Guillaume und Gérard Depardieu in der Rolle des jungen und des alten Schülers des Monsieur de Sainte-Colombe, Marin Marais, in die Kinos – auf Deutsch unter dem Titel Die siebente Saite.
Was es mit dem französischen Titel auf sich hat, wird erst am Ende des Buches deutlich. «Tous les matins du monde sont sans retour» heißt es im vorletzten Kapitel: «Alle Morgen der Welt sind ohne Wiederkehr.»
Der Film machte auch das musikalische Wirken des katalanischen Meisters der Alten Musik und Gambisten, Jordi Savall, schlagartig über den kleinen Zirkel der heutigen Liebhaber der Barockmusik hinaus bekannt. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass gerade dieses Buch und dieser Film mit seiner Musik im «alten» Europa entstanden sind. Ebenso wenig zufällig scheint die Einstellung zum Leben zu sein, die unsere Gesprächspartner Sabine Stamer und Tom Buhrow ausstrahlen. Allabendlich bringt Tom Buhrow sie am Ende der Tagesthemen im Ersten zum Ausdruck, nachdem er meist über schwierige und schreckliche Ereignisse hat berichten müssen. In seinen letzten Worten lebt eine Kraft der Zuversicht, die bemerkenswert und ansteckend ist: «Das waren die Tagesthemen von heute. Morgen ist ein neuer Tag.»
Wie bei unserem anderen Reisenden in Amerika, dem Fotografen Horst Hamann, hat das weite Land, the big country, auf Sabine Stamer und Tom Buhrow abgefärbt: «Offen für Neues, nicht suchen, nur finden.»

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich, dass auch Sie fündig werden.

Ihr Jean-Claude Lin