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Rainer Rappmann

Der Hase

Nr 159 | März 2013

in der Kunst, in der Mythologie und im Leben

Der Hase ist mit dem Menschen schon seit Lebzeiten verbunden. Praktisch alle Kulturen haben in ihm ein symbolon, ein Zusammenfallen und -fügen sehr komplexer, mythologischer Bedeutungen erblickt.
Im Germanischen etwa war der Frühling ein Hase, die ägyptische Göttin Unut trägt einen Hasen quer auf dem Kopf, bei den Chinesen und den Azteken ist der Hase das Mondtier, die Tataren verstehen ihn als den Schöpfer des Lichtes, und das christliche Mittelalter verwendet ihn als Sinnbild der Auferstehung Christi.
Was aber macht den Hasen für unsere Zeit so aktuell und möglicher­weise prägend?
Schauen wir ihn zunächst von der biologisch-physiologischen Seite an: Der Hase zeichnet sich aus durch eine hohe Beweglichkeit und Fortpflanzungsfähigkeit. Er hat meistens «die Nase im Wind»,
ist standorttreu, ein Meister der Tarnung und ernährt sich von Pflanzenkost. Im Gegensatz zum Kaninchen hat er wesentlich längere «Lauscher». Er ist äußerst wendig und schnell – man schreibt ihm eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/Stunde zu, und das Hakenschlagen ist ihm sprichwörtlich.
Die Mythologie kennt «Meister Lampe» als Führer der Anderwelt und Überbringer von geheimen Botschaften. Er verspricht Heilung bei Zuständen, in denen Sanftheit, Liebe, Hingabe und Emfänglichkeit gestört sind.
Er ist der nahezu «Unbesiegbare», und so kommt er auch bei Joseph Beuys vor, dessen «größtes Kunstwerk» der erweiterte Kunstbegriff ist, aus der die Soziale Plastik entstehen wird, an deren Zustande­kommen alle Menschen beteiligt sind. Dieser große Vordenker des 21. Jahrhunderts hat sich selbst gar als «ganz scharfen Hasen» bezeichnet.
Was aber fehlt noch, dass «Lepus», so sein lateinischer Name, unser neues Symbol und Bild für die Zukunft wird? Längst ist es Zeit, alte Tierbilder, wie etwa Löwe oder Adler, abzulösen und durch ein «Friedenszeichen, das jedes Kind kennt», so Beuys, zu «ersetzen». Der «Angst-Hase», der die Angst mit Achtsamkeit und Liebe überwindet, wird so zum bewegten Bild für Transformation, für Ent­wicklung.
Und doch ist der Hase in seinem Bestand – insbesondere in Mittel­europa – äußerst gefährdet, weil er nicht mehr den Lebens­raum vorfindet, den er benötigt. Vielleicht kann man den Lebens­raum auch mit Denkungsart gleichsetzen; denn es sind insbesondere die Auswüchse unserer auf pure Ausbeutung hin angelegten Intensiv­landwirtschaft und Monokultur, aber auch die völlige Überindustrialisierung, die ihm das Leben nahezu verunmöglichen. Überhaupt schwindet vor allem in den westlichen Ländern mehr und mehr die Achtsamkeit gegenüber den Wesen der Natur. Die Biene zeigte es uns als eine der Erstbetroffenen durch rätselhaft hohe Sterberaten. Und doch: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch», formulierte schon Hölderlin. Und in diesem Sinne will das Symposion Joseph Beuys und die Hasen im Humboldt-Haus des Internationalen Kulturzentrums Achberg sich mit den aufbrechenden Frühlingskräften dem Hasen auf den verschiedensten Ebenen nähern – von der biologischen mit seinem Leben in der realen Umwelt über die bildhafte, mythologische bis hin zu seiner Rolle in der Kultur- und Kunstgeschichte, insbesondere, wie sich Joseph Beuys mit ihm beschäftigte und wie er ihn behandelte.

«Der Hase ist mein Tier, äußerst fruchtbar und beweglich, ein Hakenschläger und Grenzgänger, quer durch die Steppe zu Hause.» Joseph Beuys