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Johannes W. Schneider

Unser Leben – unser Schicksal

Nr 160 | April 2013

Wie viel Glück kann ein Mensch vertragen?

Wie viel Glück kann ein Mensch vertragen? So fragen wir vielleicht, wenn jemand immer wieder Glück hatte, ohne sich dafür anzustrengen, wenn er schließlich übermütig und leichtsinnig wurde und so ins Unglück stürzte. Verträgt der Mensch nur ein bestimmtes Maß an Glück? Und wie kommt es, dass manche Menschen, die das gar nicht verdient haben, die sogar richtige Gauner sind, immer wieder Glück haben, auf Kosten anderer, anständiger Menschen? Wenn die gewohnten Erklärungen – Zufall, Blindheit des Schicksals, unergründlicher Wille Gottes – nicht mehr befriedigen, dann weichen wir vielleicht auf die Ursache in einem früheren Erdenleben aus: Glück und Leid als Belohnung oder als Strafe für Taten in einem früheren Erdenleben zu sehen. Doch welchen Sinn sollen Lohn oder Strafe haben, wenn der Mensch gar nicht weiß, wofür?

Buddhisten erinnern immer wieder daran, dass sie das künftige Schicksal gar nicht als Folge der Taten sehen, sondern als Ergebnis der Gesinnung, die ein Mensch hat. Nicht dadurch verändere ich mein Schicksal, dass ich einem anderen Menschen helfe, sondern dadurch, dass ich es in liebevoller Gesinnung tue. Insbesondere, so betonen viele Buddhisten, bestimme die innere Haltung im Augenblick des Todes, unter welchen Bedingungen der Mensch sein nächstes Erdenleben beginnt. Wer in gelassener Haltung stirbt, den versetze diese Haltung an einen günstigen Ort für das nächste Leben. Wer in egozentrischer Haltung stirbt, den ver­setze diese Haltung an einen ungünstigen Ort im nächsten Leben.
Der Buddhist glaubt also nicht, dass eine göttliche Macht ihm Glück oder Leid als Lohn oder Strafe für seine Taten zuteile, sondern dass es der Mensch selbst ist, der sich Glück oder Leid zubereitet.
Wer so denkt, sucht den Anfang des Schicksalswirkens nicht erst irgendwann nach dem Tod in der himmlischen Welt, sondern schon im Augenblick der Handlung selbst, in der guten oder schlechten Gesinnung, die mit der Handlung verbunden ist. Schicksal, so ist dann zu folgern, bildet sich, nicht nur in mir, sondern in meiner Beziehung zur Welt. Die Welt ist an der Entstehung des Schicksals beteiligt, bereits dadurch, dass sie mein Handeln annimmt oder nicht, sodass, wenn, losgelöst von mir, meine Handlung fortwirkt und dadurch ein Stück Welt eine besondere Beziehung zu mir hat, eine glückliche oder eine unglückliche. Es gibt Menschen, die passen einfach hinein in die Welt, und es gibt Menschen, die finden beim Anziehen des Mantels immer nicht den Ärmel. An dieser Beziehung zur Welt ist Schicksalswirken am sichersten zu beobachten.
Wie viel Glück also kann ein Mensch vertragen? Wer so fragt, denkt oft zu sehr an die glücklichen Ereignisse, die dem Menschen von außen her begegnen. Was ohne mein Zutun mir jetzt als glückliches Ereignis begegnet, ist weniger als Lohn, sondern mehr als Aufgabe zu verstehen, als eine Chance für unser heutiges Leben. Es ist zwar unmöglich, alle solche Chancen voll zu nutzen, aber doch einige. Die Folge früherer guter Taten zeigt sich weniger in glücklichen Ereignissen, sondern mehr in einer bestimmten Verfassung der Persönlichkeit. Es gibt Menschen, die nennen wir einfach Glückspilze. Sie kommen immer genau dorthin, wo die Sonne scheint. Sie schlagen die Zeitung auf und blicken sofort auf die Stelle, an der ein schönes Ferienhaus angeboten wird. Sie finden den Arbeitsplatz mit den netten Kollegen. Sie gehen, entgegen ihrer Gewohnheit, von der Wohnungstür noch einmal zurück zu dem klingelnden Telefon und versäumen damit die Straßenbahn, die heute verunglückt. Zufall? Da denke ich immer nur an die Ereignisse, hier ist jedoch viel wichtiger, wie ich mich in den Verlauf der Ereignisse eingliedere. Es gibt eben Menschen, die passen in die Kleidung ihrer Lebensereignisse wie angegossen hinein, maßgeschneidert. Und es gibt Menschen, die ziehen eine elegante Kleidung an, sie haben gute Lebensverhältnisse und sehen darin aus wie eine komische Figur. Zufall? Nein, diese Menschen können anziehen, was sie wollen, das Leben sitzt nie. Das ist die Stelle, an der Schicksal spricht, nicht so sehr in den treffenden Ereignissen selbst.