Jean-Claude Lin

Der gebildete Mensch

Nr 162 | Juni 2013

«Krumm und schief sind wir in diese Welt gestellt», hat vor kurzem in einem Gespräch mit Wiebke Ramm der Strafverteidiger und Autor der Bücher Verbrechen und Schuld, Ferdinand von Schirach, die Anfangsbedingungen unseres Daseins bemerkenswert kurz und bündig beschrieben. Es sind aber doch nur Anfangsbedingungen, aus denen heraus der Mensch sich entwickeln kann.
Schon im ersten Lebensjahr richtet sich das Kind auf und übt die ersten Schritte, sofern es auch andere Menschen um sich erlebt. Dann erfolgt das Sprechen und im dritten Lebensjahr folgen die ersten Denkbewegungen. Was der Mensch so in seinen ersten drei Lebensjahren am anderen Menschen erlernt, ist phänomenal. Was aber erwarten wir von einem «gebildeten» Menschen? Welchen Schulabschluss muss er erworben haben? An welcher Hochschule muss er studiert haben? Wie viele Fremdsprachen muss er beherrschen? Was muss er von Kunst, Literatur und Naturwissenschaft verstehen? – Oft wird die Bildung eines Menschen an seinem Wissen gemessen – oder manchmal an seiner Beherrschung eines Verhaltens­kodex bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen.
Der Dichter und Philosoph des spielenden Menschen, Friedrich Schiller, hat eine ganz andere An­schauung vom gebildeten Menschen vertreten. Im vierten Brief seiner Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen, als er auf anderen Wegen als über das Blut und den Terror der Französischen Revolution zur «vollkommensten aller Kunstwerke», zum Bau einer «wahren politischen Freiheit», gelangen wollte, schrieb er: «Der gebildete Mensch macht die Natur zu seinem Freund.»
In diesem Sinne an Bildung beteiligter und produktiv arbeitender Menschen können wir den Freiburger Erlebnispädagogen Michael Birnthaler und den Welzheimer Dieter Einhäuser vom Erfahrungsfeld der Sinne EINS + ALLES betrachten: sie haben sich die Natur zu ihrem «Freund» gemacht.


Mögen wir alle uns so weiterbilden können!
Mit freundlichem Gruß, Ihr

Jean-Claude Lin