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Ruth Ewertowski

Vertrauen – Mensch und Welt werden verwandelt

Nr 162 | Juni 2013

Das Wunderbare am Vertrauen ist, dass es wirkt, dass es die Welt verändert. So unscheinbar es daherkommt, als bloße Stimmung, als Gefühl, als Haltung, so ohnmächtig es scheint, so wirkt es doch auf den, dem es entgegengebracht wird. Denn das Vertrauen – aber auch das Misstrauen – hat die starke Tendenz zur Selbsterfüllung und darüber hinaus die Fähigkeit zur seelisch-geistigen Bildung eines anderen Menschen im Ursinne der paideia, der Bildung und Erziehung. Insofern ist Vertrauen nicht nur das Verhaltenskorrelat zu jener echten Freiheit des Menschen, die sich in der Verant­wortung des anderen erfüllt. Es liegt vielmehr auch in unserer Verantwortung, dass wir den anderen Menschen Vertrauen ent­gegenbringen und ihnen damit den Freiheitsraum zu einer humanen Selbstgestaltung geben.
Wenn uns niemand vertraut, so können wir auch nicht vertrauenswürdig sein. Wir sind in unserer moralischen Fähigkeit geradezu abhängig vom vertrauenden Verhalten anderer. Wer einem anderen nicht vertraut, dass er sein gegebenes Versprechen hält, trägt mit dazu bei, dass es tatsächlich gebrochen wird. Denn es ist weitaus schwerer oder fast schon absurd, ein Versprechen, eine Treue ge­wissermaßen aus Trotz statt in der förderlichen Stimmung vertrauender Ermunterung zu halten. Wenn wir unsere Vertrauenswürdig­keit erst unter Beweis stellen oder gar den Gegenbeweis gegen ein Misstrauen, eine Verdächtigung antreten müssen, so liegt darin, dass kein Vertrauen aufgebracht wurde, schon ein nahezu gegnerischer Akt, der eine Selbstbehauptung herausfordert, die selbst wiederum der Atmosphäre des Vertrauens widerspricht.
Erbrachtes Vertrauen aber übt einen Einfluss auf den Empfänger aus, der eine geradezu suggestiv aufschließende Wirkung hat. Zugespitzt gesagt liegt im Vertrauen fast eine Art von «Nötigung» des anderen, seiner eigentlichen Freiheit gerecht zu werden – einer Freiheit, die nicht in der Wahl, sondern der Wahrhaftigkeit liegt. Wenn wir Vertrauen bringen können, dann wandelt sich nicht nur unser Verhältnis zur Welt, sondern die Welt selbst: Sie wird gut, schön und wahr, so wie sie das Kind und der Jugendliche er­warten. Das Subjektive der Vertrauensstimmung wird in der Welt objektiv. Das hat am Ende schon Hiob erfahren, dem in der Leidenschaft seines Vertrauens Gott sich in einer Weise zuwendet, die Hiob auch von außen in einen neuen souveränen Stand setzt. Dass Hiob die Treue hält, wird nicht einfach nur belohnt, sondern verwandelt die Situation. Hier ist die Nahtstelle, an der Innen und Außen, Mensch und Gott sich unmittelbar berühren, an der wir eins mit der Welt werden.
Vertrauen öffnet sich und eröffnet dem, dem es entgegengebracht wird, einen Raum, in dem nicht jeder Schritt argwöhnisch beäugt wird, mit dem Neues entstehen will. Freilich, dass Vertrauen Erfolg hat, ist nicht garantiert. Eben diese fehlende Notwendigkeit ist genau der Grund für seine schöpferische Kraft, denn aus Not­wendigkeit entsteht nichts Neues, sondern nur Absehbares. Das Vertrauen wird der Kontingenz gerecht, die in der Welt der unberechenbare Urquell aller Entwicklungsimpulse ist. Denn «Kontingenz» heißt ja nicht einfach «blinder Zufall», sondern «Möglichkeit». Vertrauen schafft den möglichkeitsoffenen Raum, in dem sich Sinn erst entfalten kann, und dieser schwebt nicht selten über dem Abgrund des Sinnverlustes, aus dem er stets neu geborgen werden will. Dass der Sinn gefährdet ist, gehört zu seiner Qualität, die ihn als erfülltes Schicksal erst beglückend macht.