Uschi Groß

Sansibar – oder die Sehnsucht

Nr 163 | Juli 2013

Von den alltäglichen Herausforderungen eines Paradieses

Sansibar – schon der Name klingt geheimnisvoll in den Ohren der Mzungus, wie die Europäer auf Swahili heißen. Zanj z’al barr – «Land der Schwarzen» heißt es, sei der arabische Ursprung des Namens.
Sansibar. Sagenumwoben – Sindbad der Seefahrer fällt einem ein. Auch der Roman Sansibar oder der letzte Grund geistert durch den Kopf, lange Jahre Pflichtlektüre in jedem deutschen Gymnasium. In seiner Erzählung um Widerstand und Fluchthilfe im national­-sozialistischen Deutschland lässt Alfred Andersch den Schiffsjungen fragen: «Wozu bin ich auf der Welt, wenn ich nicht Sansibar zu sehen bekomme?» Sansibar – Ort der Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer.
30 Kilometer vor der Küste Tansanias trifft sattes Grün auf türkis- und lichtblaues Meer, das seine Wellen an endlose Traumstrände aus weißem Pudersand wirft. Seine geografische Lage im Indischen Ozean machte Sansibar schon immer attraktiv als Zwischenstation für die Handelsgeschäfte zwischen Afrika und Asien. Die tropische Klimazone und der fruchtbare Boden verhalfen der Inselgruppe durch den Anbau von Nelken, Zimt und Pfeffer bald zu ihrem berühmten Ruf als Gewürzinseln. Aber auch skrupellose Menschen­händler nutzten im 19. Jahrhundert die tiefen Wasser des Hafens von Sansibar, um hunderttausende von Menschen aus Zentralafrika als Sklaven in den Vorderen Orient zu verkaufen.
Die heutige Bevölkerung Sansibars ist Abbild seiner bewegten Ge­schichte. Nachfahren indischer Händler, arabischer Sultans­angehöriger und afrikanischer Sklaven leben in einer faszinierenden Mischung unterschiedlicher Kulturen und Religionen friedlich Seite an Seite. Von den etwa 1,2 Millionen Bewohnern ge­hören gut 95 Prozent dem muslimischen Glauben an. Seit 1964 ist Sansibar ein Bundesstaat der Vereinigten Republik Tansania.

Faszination Stone Town

Die Anreise mit der Fähre von der tansanischen Hafenstadt Dar es Salaam ist die schönste Art, sich der Insel und der orientalisch anmutenden Silhouette von Sansibar Stadt mit dem markanten Turm des «Haus der Wunder» langsam zu nähern.
Der erste Kontakt mit den Sansibari erfolgt über die verschleierten Mitarbeiterinnen der Gesundheitsbehörde, die einen strengen Blick auf den Impfpass werfen. Danach landet man im wuselnden Leben um den Hafen, wo geschäftstüchtige Taxifahrer die Ankommenden mit einem freundlichen «Karibu» willkommen heißen und ihre Dienste anbieten. Ein Stück weiter beginnt schon das Labyrinth von Stone Town, dem historischen Teil von Sansibar Stadt, das mit seinem Gewirr von engen und verwinkelten Gassen jeden Besucher in seinen Bann zieht.
Wie eine kleine Nase ragt der alte Stadtteil mit all seinen Sehens­würdigkeiten stolz ins Meer. Hohe Häuser im arabischen Stil bilden schattige Schluchten, in denen sich Fahrradfahrer klingelnd einen Weg bahnen zwischen tobenden Kindern, verschleierten Frauen und geschäftigen Männern mit der typisch bestickten «Kofia» auf dem Kopf. Händler bemühen sich unermüdlich, vorbeischlendernde Touristen in ihre kleinen Läden voller Kunsthandwerk einzuladen. Kleine Plätze werden am Abend zum kollektiven Fernsehraum, um die Spiele der Champions-League zu verfolgen – vor allem, wenn einer der beliebten englischen Fußballclubs beteiligt ist. Am Stadtstrand zeigen die einheimischen Jungs beeindruckende Akrobatik, während die Touristen mit dem Cocktail in der Hand zuschauen, wie der rote Sonnenball am Horizont im Meer versinkt.
Bekannt ist Stone Town auch durch das international geschätzte Sauti Za Busara-Festival. Musikgruppen aus ganz Afrika sind dann im alten Fort zu hören – immer dabei Bi Kidude, die legendäre Stimme der sansibarischen Taraab Musik. Bisher – im April starb die Königin des Taraab im Alter von über 100 Jahren.
Seit 2000 steht Stone Town mit seinen Häusern aus Korallenstein als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Ein Teil der Häuser wurde restauriert, aber viele sind nach wie vor dem Verfall anheim gegeben. Der abblätternde Verputz verleiht den Haus­fassaden eine Patina, die dem Verfall seinen berühmten «Charme» gibt. Zumindest in den Augen der Besucher. Die Realität dahinter ist jedoch oft Armut. Das Durchschnittsein­kommen der Insulaner liegt bei etwa 40 Euro im Monat. Strom und Wasser sind wertvolle Güter, die nicht immer und nicht für jeden zur Verfügung stehen. Privilegiert ist, wer sich einen eigenen Generator leisten kann.
Während im fruchtbaren Hinterland noch immer Gewürznelken für den Export angebaut werden, hat sich für Sansibar eine neue große Einnahmequelle geöffnet: der Tourismus. «Spice-Tours» in die Gewürzplantagen sind neben den historischen Sehens­würdigkeiten ebenso attraktiv für Touristen wie die faszinierenden Unterwasserwelten oder die endlosen Traumstrände der Insel.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Mit dem «Dalla Dalla» an die Küste

Das «Dalla Dalla» ist das öffentliche Transportmittel auf der Insel schlechthin. Zwar braucht eine Fahrt damit Zeit, aber dafür ist sie eine Reise für alle Sinne. Die Kleinlastwagen mit überdachter Pritsche haben ein stabiles Dach für allerlei Fracht, wie Fahrräder, Baumaterial oder aus Palmblättern geflochtene Körbe voll mit Früchten, Fisch oder anderen Waren. Der sansibarische Alltag zieht zum Greifen nah vorbei, während die verschleierte Sitznachbarin ganz entspannt ihr Baby stillt. Ein Schauen und Staunen, bis einen das schrille Quietschen der Bremsen jäh herausreißt: Ein neuer Mitreisender drückt sich mit eingezogenem Kopf zwischen die schon dicht an dicht sitzenden Fahrgäste. Bewegung kommt in die Runde. «Voll» scheint es im Wortschatz der Dalla-Dalla-Fahrer nicht zu geben. Man rückt und teilt. Bis schließlich irgendwann alle an ihrem Ziel angekommen sind. – Zum Beispiel in Jambiani an der Südostküste von Sansibar. Sandige Wege schlängeln sich durch das langgezogene Dorf. Der dazugehörende Küstenstreifen ist weitläufig gesäumt von edlen und schlichteren Unterkünften. Damit nicht nur die großen – oft auch ausländischen – Investoren hier die Geschäfte machen, hat eine kleine kanadische Organisation mit Spendengeldern eine Tourismusschule aufgebaut. Hier können Einheimische alles Lernen, was nötig ist, um im Hotelgewerbe zu arbeiten oder gar selbst ein kleines Hotel oder Restaurant aufzubauen – von Englischkursen über Speisepläne bis hin zur Buchhaltung. Immer wieder begegnet man Absolventen wie beispielsweise Ali, der gemeinsam mit Jennie, einer gebürtigen Schottin, seit 2012 die Garden Bungalows betreibt – fünf kleine, schlichte Häuschen zwischen Palmen und Sand, mit einem sympathischen Team und einem traumhaften Blick aufs Meer.
Der traumhafte Blick zeigt zugleich eine weitere moderne Lebensgrundlage vieler Familien an der Küste: den Anbau von Rotalgen. Während der Ebbe ziehen vor allem die Frauen hinaus in die seichten türkisblauen Fluten. In ihren bunten Kleidern und Tüchern sitzen sie dort stundenlang im Salzwasser und arbeiten in den Algenfeldern. Bis die Flut kommt. Dann balancieren sie auf dem Kopf die Ernte an Land und legen sie zum Trocknen aus. Nach einer arbeitsreichen Woche kommen die Frauen mit einem Ertrag von etwa 15 Kilogramm auf einen Verdienst von rund 4 Euro. 2012 gingen etwa 12.000 Tonnen der Rotalgen ins Ausland. Dort werden sie in teuer bezahlte medizinische und kosmetische Produkte verarbeitet. Manche der Frauen haben sich mittlerweile zu Kooperativen zusammengeschlossen, um ihre Interessen gemeinsam stärker zu vertreten und zumindest ein bisschen mehr vom lukrativen Geschäft mit den Algen abzubekommen.

«Tuwe ne moyo» – alles von Herzen

Das Leben im «Paradies» ist nicht einfach, aber es gibt viele engagierte Initiativen der Hoffnung. Der Leitspruch, den man oft hört: «Tuwe ne moyo». Dass alles sehr von Herzen kommt, spürt man auch bei der kleinen Organisation PLCI (Prospective Learning and Charitable Institution) um den charismatischen Gasica. 2006, mit gerade mal 17 Jahren, hat der Sohn einer kinderreichen Lehrerfamilie in Sansibar Stadt die soziale Einrichtung gegründet, um Waisen und Kindern aus armen Verhältnissen bessere Bildungschancen zu ermöglichen. Heute besuchen über 130 Jungen und Mädchen die Angebote von PLCI, etwa Englisch- und Computerkurse. Besonders faszinierend ist, wie es gelingt, den Jugendlichen den Glauben an sich selbst zu geben. Die große Begeisterung und Motivation ist bei jeder Begegnung mit den Jugendlichen zu spüren. Stolz stellen sie in bestem Englisch ihre Projekte vor, zu denen ganz neu auch ein liebevoll angelegter Kräutergarten gehört. Der Verkauf der Kräuter soll zur Finanzierung der Einrichtung beitragen. Unter den Spon­soren ist auch die rührige deutsche Hilfsorganisation GOZA (Go for Zanzibar) um Antje Fleischer und Mario Müller. Schon seit vielen Jahren unterstützt GOZA soziale Projekte auf der Insel – vom Altenheim bis zu Medizincamps in den Dörfern.
Viel Engagement und Hoffnung auf der einen Seite, aber auch Skepsis bei den Leuten auf der Straße. Viele wünschen, dass die Inselregierung mehr unternimmt, um die (Über-)Lebens- und Bildungsgrundlagen für die Bevölkerung zu verbessern. Kleine radikale Gruppen versuchen die Existenznöte auszunutzen und gegen die Einheit mit Tansania Stimmung zu machen. Der An­schlag gegen einen christlichen Priester im Februar diesen Jahres etwa hat mit dem Gros der Bevölkerung nichts zu tun, sät aber Misstrauen und kann damit zur Bedrohung werden für die besondere kulturelle Eigenheit und das gewachsene Miteinander der Menschen auf Sansibar.

Und wir Mzungus, was können wir tun?

Ein bisschen können auch wir zum Wohlergehen im Paradies beitragen. Beispielsweise indem wir nicht den Verlockungen von Pauschalanbietern für den All Inclusive (Billig-)Urlaub erliegen. Wir können bewusst einen fairen und nachhaltigen Tourismus unterstützen. Denn das Schlimmste, befürchten Einheimische, wäre der Ausverkauf und eine Art «Ballermann Tourismus» auf Sansibar. Gemeint ist ein Reiseverhalten, bei dem das Geld nur bei den großen Veranstaltern und Hotelanlagen hängenbleibt.
Die eigentlichen «Bewohnerinnen und Bewohner des Paradieses» gehen dabei leer aus – und sind im schlimmsten Fall mit pro-vozierenden Ghettos des Reichtums oder Alkoholexzessen konfrontiert.
Die Herausforderung für uns oft vom Wohlstand und der Sattheit gestressten Mzungus ist es, als Gäste dem Paradies in lichtem Türkis mit Wertschätzung und Respekt zu begegnen – und es damit auch zu bewahren: «Tuwe ne moyo» eben!