Ralf Lilienthal

Mehr schauen, weniger reden

Nr 167 | November 2013

Besuch «im Tal» der Bildhauer

«Torfstecher», «Bierkutscher», «Schlachter» und «Kohlenhauer» – wer die Welt kennt, assoziiert mit diesen Begriffen Schwerstarbeit, Schweiß und gelegentlich Berge versetzenden Willen. Dass auch der «Bildhauer» unbedingt in diese Reihe gehört, ist vielleicht weniger bekannt. Im westerwälder «Tal» zwischen Hasselbach und Werk­hausen und mehr noch während einer Atelier-Begegnung mit dem Tal-Initiator Erwin Wortelkamp kann sich, wer mag, davon überzeugen.
Aber fangen wir weiter vorne an, gehen über siebzig Jahre zurück zum biographischen Wurzelgrund des Bildhauers. «Ich bin ein Wirtshaussohn!» Erwin Wortelkamps monolithisch-stolzer Satz ist eine Art chemisches Experiment: Wie reagiert der Reporter auf die hingeworfene subtile Provokation? Hohe Kunst gewachsen aus den bierseligen Niederungen einer Schänke? «Mein Vater war ein außergewöhnlicher Wirt und ein außergewöhnlicher Konditor.» Wortel­kamp erzählt, erklärt und überzeugt unmittelbar, denn die Mitgift des elterlichen «Wirtshauses mit Fremdenzimmer» ist stattlich: «Rechnen» hat er gelernt, und «sein Grundkapital» erworben: «mit Fremden umgehen zu können!» – durch «Anteilnahme» in Trauer und Freude und durch die «Achtung fremder Eigen­wertigkeit»! Bemerkenswerte Stichworte, die man später noch
besser verstehen wird.
Die «zweite Quelle» seines Werdens scheint am anderen Ende der menschlichen Civitas zu siedeln: Die Westerwälder Klosterschule Marienstatt, nach wie vor in Trägerschaft des Zisterzienserordens, umgeben von einer frühgotischen «Wahnsinnsarchitektur», die den «Pennäler zu unablässigem Zeichnen» inspiriert hat und motivisch sein Werk bis heute inspiriert.
Vom Bruder früh ausgestattet mit Holzbearbeitungswerkzeugen und einer Schweißausrüstung, verlässt Erwin Wortelkamp die Schule und sucht sich eine Universitätstadt, die ihm ein Studium der Kunst und der Betriebswirtschaft erlaubt, wird Oberstudienrat und Beamter, daneben auch Hochschulpädagoge … und wirft zugunsten der künstlerischen Freischaffenheit am Ende sämtliche bürgerlichen Sicherungsleinen über Bord.

Die eigene braucht die andere Kunst

Doch während die meisten Künstler zeitlebens immer nur «ihr Ding» machen, durchzieht Wortelkamps Wirken von Anfang an eine produktive Neugier für das «Kunstwerk der Anderen».
Die erste folgerichtige Kulmination dieser Wesenseigenart ist seine weit über die Rhein-Neckar-Provinz bekannte «Informations­galerie», das atelier nw 8. Schon da, im Polit-povokant-Gewand der 68er-Jahre, ist der Künstler Wortelkamp Wegbereiter und Rahmengeber für die Bilder, Skulpturen, Aktionen und Wortwerke anderer. Doch was von außen als seltene Altruismus-Variante erscheinen könnte, zeigt in der Innensicht den weiten Horizont seiner hochfliegenden Seele: «Der Gedanke, damit etwas für andere tun, war mir fremd. Ich habe das für mich getan; war neugierig, wollte mich mit den Kunstwerken auseinandersetzen, fragen, was sie mit mir zu tun haben, mich damit identifizieren.»
Auch nach dem Frankenthaler Galerie-Jahrfünft, während Wortel­kamps eigene Werke bereits von Museen gekauft, gesammelt oder an öffentlichen Orten ausgestellt werden und er sich überregional einen Namen macht, glimmt der Funke der «Zusammen-Mit-Anderen-Projekte» in der Tiefe weiter, schon bald verknüpft mit dem Wunsch, in der Westerwälder Heimat wirksam zu werden.
«Ich wollte zehn bis fünfzehn internationale Künstler einladen, um im gesamten Westerwald Skulpturen zu entwickeln für Orte, die man kennt. Und für Orte, die niemand kennt. Was dann aber aus politischen Gründen gescheitert ist.»
Jahre später und eher beiläufig ist es dann doch so weit: Erwin Wortelkamp, wie immer unterstützt von seiner Frau Ulla, hat ein für seine Arbeit ideales Refugium gefunden. Zu dem Wester­wälder Dorfschulhaus gehören einige Morgen Land, mehr als genug Platz, um seine großen Holz-Eisen-Objekte zu schaffen und die eine oder andere davon wirkungsvoll zu positionieren. Auch der Bild­hauer­freund Ansgar Nierhoff ist inspiriert: «Auf dem Grundstück könnte man doch ein paar Skulpturen anderer Künstler aufstellen …!?»

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Trialoge

Ein halbes Hundert Skulpturen («Positionen» genannt) erwarten den Besucher heute, fast dreißig Jahre später, Im Tal – eingebettet in eine zehn Hektar große, naturnahe, bäuerische Kulturlandschaft, die durch Mähwege erschlossen ist und sich dem Kunstwanderer in immer neuen, überraschenden Ausblicken erschließt. Und ganz gleich, ob man aufwärts zu dem kleinen Waldstück losläuft oder den das Grundstück durchfließenden Bach entlang – schon nach wenigen Metern wird klar: Erwin Wortelkamps «Tal» ist kein Freiland-Museum, was nicht alleine durch das Fehlen von Info­tafeln oder kunstpädagogischen Erläuterungen belegt wird. Vielmehr wird für den aufmerk­-samen Betrachter die un­auf­­lösbare Verbindung von Skulptur und Landschaft an jeder Weg­biegung spürbar.
Im Tal präsentiert nicht Kunstobjekte im grünen Rahmen, sondern aufeinander bezogene, mitein­ander verbundene Elemente und damit einen dynamischen Dialog zwischen Kunst und Natur, vom durchwandernden Besucher zum Trialog erweitert. Einfach gesagt: Das doppelte Gemein­schafts­kunstwerk fühlt sich überall «richtig» und «stimmig» an.
Wie handfest Erwin Wortelkamp, sein Sohn Kim und das befreundete Garten- und Landschaftsbau-Unternehmen Börgerding das Bild der Landschaft über Jahrzehnte gestaltet und verändert haben, kann erahnen, wer die verblichene Ortsflur-Fotografie betrachtet, die nach dem Wüten des 1990er Orkans «Wiebke» aufgenommen wurde. Eine ausgeräumte und überdüngte monokulturelle Wiesen- und Ackerlandschaft, in der die wenigen Bäume und Sträucher nur umso verlorener wirkten. Heute strukturieren Hainbuchen und Sumpfeichen das Bild, Weiden und Erlen, Frühlingsblüherwiesen und Hochstaudenflur – Lebensräume für eine Fülle von Vier-, Sechs- und Achtbeinern und für die Gefiederten samt Eisvogel und Wasseramsel sowieso.
Und die «Positionen» selbst? Ein weites Feld: hier sinnlich präsente Werke wie aus dem Material herausgebrochen, gleich daneben intellektuell-konzeptuelle, augenzwinkernd-humorvolle oder meditative Kunst. Geschichtenlange und haikuknappe Setzungen. Reminiszenzen und Zitate. Formen und Worte – samt und sonders Ausdruck der sehr persönlichen Auseinandersetzung jedes einzelnen Künstlers mit genau dieser Landschaft, genau diesem, von ihm selber ausgewählten Ort. Tatsächlich hält die «Tal-Realität», was ihr Initiator intendiert und versprochen hatte! Natürlich gibt es Werke, die den Reporter subjektiv besonders ansprechen: Karl Bobeks Dreibeiner, Krimhild Beckers geheimnisvolles (titelloses) Lichtbild, Heinz Brelohs Bildhauer im Fluß, Thomas Lehnerers Armer Mensch oder Götz Stöckmanns stählernes Labyrinth. Sehr viel spannender aber wird es am anderen Ende der Skala, vor allem, wenn Erwin Wortelkamp beiläufig fragt: «Welche Werke gefallen Ihnen denn nicht so?», und er sich nach der naiven Antwort zu einer feurigen (und inhaltvollen) Verteidigungsrede seiner Bildhauer-Mitstreiter aufschwingt. Dass dieser Künstler gegen alle Widerstände und Gleichgültigkeiten 100.000 Quadratmeter Gesamtkunstwerk in die Welt gestellt hat, verwundert da nicht mehr.
Schon gar nicht die, die ihn am Besten kennen: «Erwin ist eine große Kämpfernatur. Wenn er etwas gerne realisiert sehen will, muss viel passieren, dass er es nicht sieht. Er ist für das ‹Tal› seit 27 Jahren im Dialog – sehr konsequent, manchmal kompromisslos hart, immer offen ins Gesicht, aber stets verbindlich und in der Sache treu.» – «Vieles von dem, was er verkörpert, fordert er auch von anderen ein, insbesondere von uns, die wir uns in höherem Maße, wenn auch ehrenamtlich engagieren.»

Differenzierte Urteile über Erwin Wortelkamp, durchaus kritisch, aber immer wohlwollend und gelegentlich fast zärtlich. Und äußerst produktiv! Denn, wer Kim Wortelkamp und Jörg van den Berg über das «Tal» und seinen Spiritus Rector sprechen hört, wird auf einen weiteren, das Projekt seit langen Jahren begleitenden, «schönen» und fruchtbaren Trialog aufmerksam.
Dass der junge Kim Wortelkamp in seinen Abenteuerjahren mit aufgekrempelten Ärmeln mittendrin war, als Im Tal aus der Taufe gehoben wurde, geschah mit beinahe naturgesetzlicher Konse­quenz: Tiere retten, Tümpel graben, Baggern und Bauen – das Kunstprojekt des Vaters war der ernste und erste Spielplatz seines Sohnes. Dass er bis heute dabeiblieb, hat nicht zuletzt mit seiner eigenen Profession zu tun: Kim Wortelkamp ist (Landschafts-) Architekt und Möbelbauer. Aber wenn es nötig wird, ist er gelegentlich noch viel mehr. Das «Tal» verdankt ihm, neben tausendundeiner Arbeit beim Aufbau der Positionen, unbeschreiblich viel: Pflanzungen, Wegführungen, eine Brücke, das Schrift- und Bildarchiv und nicht zuletzt das landesweit preisgekrönte Depositum – ein Ausstellungshaus und künftig das Skulpturen-Archiv für die Werke seines Vaters.
Mit Jörg van den Berg, Kunstwissenschaftler und Ausstellungs­macher, durch das «Tal» zu gehen, ist ein Vergnügen, nicht nur dann, wenn sein Wasserhundwelpe Fonsus, sechs Monate alt und «ganz frisch in der Mannschaft» nebenher durchs Unterholz wuselt. Van den Berg ist immer wieder der, der das Zauberwort findet und damit selbst Kunstlaien wie dem Reporter zu einem befreienden «Aha» verhilft. Das «Tal» hat ihn 1990 bei seinem ersten Besuch gewissermaßen geentert und seitdem nicht mehr freigegeben. «Ich kenne in Europa nichts Vergleichbares!» Heute ist er der Kurator sämtlicher «Tal-Ausstellungen», organisiert den jährlich zur Sommersonnenwende stattfindenden «Jour fixe» und ist, als schreibender Kunstwissenschaftler, so etwas wie der erste «Tal-Interpret».
Der Trialog!? Der ist vielleicht das spannendste, sicherlich aber das flüchtigste Kunst-Werk, das in der Westerwälder Provinz geschaffen wird – allerdings eines, das nur selten die Intimität der famili­ären Runde verlässt. Wie ein Webfaden schießen Wort und Gedanke zwischen den Dreien hin und her. Kein leeres Geschwätz. Kein bloßer Informationsaustausch. Kein Spiel der Macht. Immer im Gleichgewicht, getragen von Achtung, in Schwung gehalten vom gemeinsamen Ziel. Schön!