Friedrich Kautz alias Prinz Pi im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Moderne Zeiten – dichten und rappen

Nr 170 | Februar 2014

Mancher ältere Literat oder Liedermacher würde heute vielleicht nicht über sich und seine Zeit dichten – sondern rappen, fit in der Arbeit mit Elektrobeats, zu Hause im Internet. Heinrich Heine oder Bob Dylan als Rapper? So wie Friedrich Kautz, Jahrgang 1979. Viele zwischen 15 und 35 kennen zumindest seinen Künstlernamen, Prinz Pi, und wissen, dass er Hip-Hop macht. Sein schneller Sprechgesang mit hartem Beat und gesampelter, teilweise aus anderen Songs zusammengesetzter Musik ist kein Gangsta-Rap mit gewaltverherrlichenden Texten, sondern vielschichtig und tiefgründig. Erstmals fiel er 1998 mit dem Track «Keine Liebe» in der Berliner Rap-Szene auf; 2006 erschien mit «!Donnerwetter!» eines des aufwendigsten Deutschrap-Alben seiner Zeit. Musikalische Variationsbreite und ein großes Themenspektrum (vom Rückblick auf die Schulzeit bis zur Gesellschaftsanalyse) kennzeichnen das neue Album von Prinz Pi, «Kompass ohne Norden», hörbar auch für Nicht-Rap-Fans.

Doris Kleinau-Metzler | (das Duzen gehört zum Milieu) Wenn man deine Lieder hört, spiegelt sich darin die Geschichte deiner Jugend wieder – und man staunt als Ältere über manches. Wie bist du
zum Hip-Hop gekommen?
Friedrich Kautz | Diese Musik war für mich die zeitgenössische Form, um etwas auszudrücken, das tiefer geht. Leider war die Hip-Hop-Musik lange als dumm verrufen, aber das muss einen ja nicht abhalten zu sagen: Ich benutze das jetzt für meine Zwecke. Mir war auch klar, dass von meiner Generation heute kaum noch jemand liest, wie wahrscheinlich fast jeder Jugendliche in den Erste-Weltkrieg-Ländern Catcher in the Rye (Fänger im Roggen von D. J. Salinger) gelesen hat, weil er sich darin wiederfand. Heute liest man allenfalls für die Schule Bücher oder was sonst auf den Bestseller­listen ist, größtenteils eben Unterhaltungsliteratur. Wenn man junge Leute erreichen will, ist Musik deshalb das Medium, um bestimmte Themen anzusprechen.

DKM | Warum hast du den Anspruch, andere zu erreichen?
FK | Ich war auf einem humanistischen Gymnasium – Latein und Altgriechisch habe ich gehasst, aber den Anspruch der Römer, dass jeder Bürger etwas für die Allgemeinheit zu leisten hatte, etwas zum Gemeinwohl beitragen sollte, fand ich toll. Als Statthalter, Militär­tribun oder aber als Redner. Das Letzte wäre dann für mich der passende Weg. Ich glaube, dass ich etwas für die Allgemeinheit leisten kann, wenn ich ein paar vernünftige Texte schreibe, die den Leuten etwas vermitteln. Wenn von den paar hundert Songs zwei oder drei dabei wären, die durch Zufall so gut wären, dass sie, wenn ich mal tot bin, noch da sind und noch für sich stehen, wäre das schön.

DKM | Die Musik verstärkt deine Texte. So wie bei «Moderne Zeiten» oder «Unser Platz», wo man phasenweise an Filmmusik erinnert wird.
FK | Vielschichtigkeit von Text und Musik ist mir wichtig. Der Song soll nicht nur eine Stimmung wiedergeben, in die man sofort einsteigen kann. Die anderen Bedeutungsebenen kann man nicht gleich dechiffrieren, sondern muss sie sich erarbeiten. Wie auch sonst in der Kunst. – Als ich jünger war, habe ich nie verstanden, was die Älteren an Picasso gut fanden; erst durch längere Betrachtung, als ich seine Bilder einige Jahre kannte, habe ich angefangen, etwa die Wirkung des Kubismus zu verstehen. Ähnlich mit der Architektur: Wenn ich mir früher Häuser oder Fotos davon angesehen habe, war mir unverständlich, warum manche von «großer Architektur» sprechen. Durch das Begehen und langjährige Erleben entdeckt man, warum ein Gebäude wirklich großartig ist, warum es in unterschiedlichen Lichtzuständen und Wetterlagen so und so funktioniert. Das ist mit Musik auch so. Wenn man Musik hört und den Anspruch hat, über den Moment hinaus etwas Gültiges zu sagen, geht das nur, wenn sie wirklich gut konstruiert ist. Die Songs des Albums Kompass ohne Norden haben ein starkes musikalisches Fundament, auf den man den Text aufsetzt, der dann natürlich anders wirken kann.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Manche deiner Texte scheinen wie Gedichte – sie entfalten zudem eine besondere Dynamik, wenn man sie gerappt hört, mit dem vollen Sound der Aufnahme.
FK | Meine Alben haben sich sehr stark verändert. Sie werden sich in den nächsten Jahren auch weiter verändern, weil ich mich verändere – und die Welt um mich, die mich ja prägt und die ich wiedergebe in ihrer Veränderung. Ein Teil der Fans sagt: Ich bin durch das Album 2005 zu dir gestoßen und erwarte, dass deine Musik so bleibt. Das hängt sicher auch mit diesem Konsum- und Convenience-Gedanken in unserer Gesellschaft zusammen, dass man immer genau das bekommen will, was man bestellt. Dann würde meine Kunst aber stagnieren; das kann man als jemand, der an sich selbst arbeiten will, nicht liefern. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich die letzten zehn Jahre stagniert hätte? Es wäre total traurig.

DKM | In dem Song «Rost» geht es um Menschen, die ihre Arbeit verlieren, wegrationalisiert, und um die Welt der Manager.
FK | Vielleicht gefällt vielen der Song, weil er gut gerappt ist, aber die Verweise darin versteht wahrscheinlich kaum jemand. Dazu gehört das Buch von Rainald Götz über den großen Aufsichtsrats­vorsitzenden (Johann Holtrop), der Niedergang der Autoindustrie in Detroit, das Ruhrgebiet mit den stillgelegten Zechen und das Buch des türkischstämmigen deutschen Autors Ferdun Zaimoglu, Ruß, eine Milieustudie und ein Kriminalroman. Es gibt viele Modelle, wie man die Welt, die Kunst betrachten kann; mich beschäftigt besonders der ikonografische Weg: In der klassischen Kunst haben bestimmte Bildinhalte auch inhaltlich eine große Bedeutung
(welche Farbe hat der Mantel der Maria, wie hält sie die Hand?). Ich arbeite in meiner Musik viel mit Stereotypen, versuche sie zu brechen oder wiederum auszuarbeiten und zu hinterfragen oder zur Disposition zu stellen, ob sie noch aktuell sind.

DKM | Liebe, Sehnsucht, Tragik ist auch immer wieder Thema wie in «Ende Blut, alles Blut».
FK | Eines meiner Hauptmotive bei vielen Liedern sind die Metamorphosen von Ovid, also die Verwandlung. Jeder einzelne Mensch verwandelt sich, das Paar-Sein verwandelt beide. Ob die Beziehung zerbricht oder existent bleibt – immer findet eine Metamorphose statt. Entweder man durchläuft diese Verwandlung, die zum Lebensprozess gehört, zeitgleich, dann hat man Glück, oder man dividiert sich auseinander.

DKM | Deine Texte sind auch autobiografisch. Wird man da zur öffentlichen Person?
FK | Es ist verhängnisvoll, wenn man Bilder von sich in Form von Liedern zeigt – und Leute das Gefühl haben, sie würden fast alles von einem kennen. Dabei ist es wie bei einem Foto, von dem nur ein kleiner Ausschnitt gerahmt ist. So wie bei diesem berühmten Foto, das auf Journalistenschulen oft gezeigt wird: Erst sieht man einen Afrikaner, der eine bittende Haltung hat, und einen amerikanischen Soldaten, von dem man denkt, dass er ein Gewehr zieht, um den Schwarzen zu bedrohen. Dann wird der Ausschnitt weiter geöffnet, und man sieht: Der Amerikaner hat kein Gewehr, sondern hat hinter sich einen Wasserkanister, den er dem Afrikaner geben will. Macht man den Ausschnitt noch weiter auf, sieht man, dass der Afrikaner eine Pistole hat, die er nehmen will. Je nach Ausschnitt des Bildes dreht sich die Geschichte mehrfach, obwohl es immer das gleiche Motiv bleibt. – Genauso ist das mit meinen Songs. Meine Arbeit ist eine Art Kanalisieren, ein Herausfiltern der vielen externen Faktoren, die Tag für Tag auf einen einprasseln. Ein Stück weit ordnet man dieses Chaos der Welt und verarbeitet es in einem Song, wie man ein Bild, eine Landschaft malt. Eigentlich ist das für mich eine Hauptfunktion des Schreibens, der Kampf gegen das Chaos, das einen als Mensch versucht zu erdrücken.

DKM | Was meinst du mit «Chaos»?
FK | Die Welt ist zu komplex, um sie als Einzelner zu begreifen. Ein Physiker begreift sein kleines Fachgebiet, aber er begreift damit nur einen Teil von einem Teil von einem Teil von dieser Welt und widmet sein ganzes Leben diesem Versuch. Meine Generation ist damit aufgewachsen, dass sehr, sehr viel möglich ist. Und technisch ist viel möglich, aber das Wissen und das Verständnis dafür werden immer geringer. Früher hätte vielleicht fast jeder Mann etwas an seinem Auto reparieren können, heutzutage ist das so kompliziert, dass man einen Fachmann mit einem passenden Computer dafür braucht. Ich glaube, je schlauer die Leute sind, umso mehr sind sie sich bewusst, dass ihr Wissen eher gering ist; je dümmer die Leute sind, umso mehr glauben sie, einfache Antworten auf sehr komplizierte Fragen gefunden zu haben.

DKM | Das klingt ein bisschen nach Resignation.
FK | Ich bin eigentlich nicht resigniert. Leute resignieren, sind beleidigt, wenn sie sich als Teil von etwas sehen und sich da die Hoffnungen nicht erfüllen. Ich kenne die Außenseiterposition, seit ich klein bin: Im Kindergarten bin ich gegen Bäume gerannt, weil ich auf einem Auge fast blind war, auf meinem Elitegymnasium waren entweder absolute Rich Kids oder totale Genies – ich war der einzige Typ, der die böse Hip-Hop-Musik gehört hat. Aber ich finde alles nicht schlimm und will darüber nicht jammern. Ich stehe in der Gesellschaft an einem Punkt, wo nur wenige stehen: Ich habe studiert, Kommunikationsdesign, kann meinen Doktor machen – und muss nicht morgens früh aufstehen, zum Job gehen, abends nach Hause, über den Chef schimpfen, sondern bin selbstständig. Ich bin in der Musikszene, von der 99 Prozent der Leute, die dort arbeiten, jede Woche auf musikszeneinterne Partys gehen und Drogen nehmen. Ich gehe fast nie abends auf Partys, ich nehme keine Drogen, ich trinke fast keinen Alkohol. Sicher kann ich mich nicht ganz ausklammern, aber ich muss weit weg von manchem stehen, um klarer zu erkennen und darüber zu schreiben.

DKM | Worüber willst du deine Doktorarbeit schreiben?
FK | Ich möchte mich mit der Veränderung des Freundschaftsbegriffs auseinandersetzen, einem der wichtigsten Begriffe, Werte, die wir als Menschen haben. Was ist ein Freund? Das zerfasert in den letzten Jahren zunehmend dadurch, dass viele neue Medien dazugewonnen wurden. Aber keiner weiß genau, was das mit uns macht.