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Gerald Friese

Nr 170 | Februar 2014

Wenn Sprache die Nebel lichtet

«Manches im Leben bleibt dem Menschen undurchsichtig und nebulös. Deshalb hat der Erfinder der Sprache es so gefügt, dass man das Wort LEBEN bloß rückwärts zu lesen braucht, um sich im NEBEL zu fühlen.» (G. F.)

Zuweilen wird auch mir, wie vermutlich jedem Autoren, die nebulöse Frage gestellt, weshalb ich schreibe. Ich erlaube mir die­selbe Antwort wie auch auf jene Frage, weshalb ich Schauspieler und Theater-Regisseur geworden sei: Es ist die einzige Tätigkeit, die mich auf Dauer wach hält. Ich meine hiermit den Umgang mit dem Wort, der Sprache, der Bewegung, dem menschlichen Körper, und die Umsetzung dieser Geheimnisse für die Bühne. Schreiben spielt sich auf einer inneren Bühne ab, auf einer bild­haften Ebene, besonders aber – was die Sprache angeht – auch als Hör- und Klang-Szene.
Und hier taucht bereits eine weitere Nebelfrage auf: Gehört Schreiben denn überhaupt den eigentlichen Künsten an? – Jeder Künstler arbeitet mit den Intelligenzen seines Körpers und vertraut ihnen. Diese Intelligenzen muss er durch Üben heranbilden. Der Tänzer bildet seine Füße, der Pianist seine Finger, der Maler seinen verlängerten Arm durch den Pinsel, und wie bei der Erziehung eines Kindes, in deren Verlauf sich das Kind emanzipiert, verselbständigen sich die Körperteile im künstlerischen Tun – tun nun allein, was sie erübt haben, und der Künstler ist frei für die von ihm beabsichtigte Gestaltung.
Dieser Vorgang gilt aber leider nicht so für die schreibende Kunst. Das Verhältnis des Autors zu seinem Körper ist ein ganz anderes ... Gewiss, er gebraucht seine Finger zum Schreiben, doch selbst wenn er die Tastatur seines Computers oder seiner Schreib­maschine mit zehn Fingern fließend zu bedienen weiß, so entscheiden die Finger leider nicht über die Reihenfolge der Buch­staben. – Mark Twain meinte süffisant, Schreiben sei ganz leicht, man müsse nur die falschen Wörter weglassen.
Während und nach meiner Schauspielausbildung und dem Enga­gement am Stuttgarter Staatstheater, später auch als Regisseur, fühlte ich mich stets als «re-produzierender Künstler». Erst als ich 2006 begann, Theaterstücke zu schreiben (seitdem ist jedes Jahr eines entstanden) und merkte, dass diese sprachliche Tätigkeit «funktioniert», habe ich meine Freude auch an den Gattungen Prosa und Lyrik entdeckt, an Erzählungen, Gedichten, Miniaturen. Nun erfreue ich mich mehr und mehr am Er­schließen eines neuen Berufsfeldes, eines «produzierenden».
Dass ich allerdings überhaupt je(mals) schreiben würde, zeigte sich keineswegs schon zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit. Ich habe nicht als Kind und Jugendlicher bereits Geschichten geschrieben, ich war nicht der Klassenkasper, habe keine Lehrer verärgert und jeden Morgen herausgefordert und meine Mit­schüler zum Kichern verführt. Ich war aber auch kein Streber, ich bin nur gern zur Schule gegangen, besonders in den letzten Jahren vor dem Abitur.
Jeder Mensch muss in seinem Beruf Federn lassen. Einige meiner Schreibfedern habe ich im vergangenen Jahr bei Literatur­wett­bewerben, -preisen und -ausschreibungen eingereicht, und inzwischen sind – neben meinem bereits veröffentlichten Theater­stück Der Fuhrmann – verschiedene Erzählungen und Gedichte in Antho­logien, Literaturzeitschriften und auch als E-Book erschienen.
Jeder Schreib-Tisch hat Schubladen, meiner hat keine. Somit kann ich behaupten, ich schreibe nie für die Schublade. Alle Texte erscheinen irgendwie immer gleich auf der Bühne.
Als ich mit der Schauspiel- und sprachlichen Ausbildung begonnen habe, meinte ein Lehrer: «Irgendwann wirst du auf der Hoch­zeitsreise mit der Sprache sein.» – Die Kutsche rollt. Seit ich schreibe, bin ich bereits durch einige Königreiche gekommen. Welche ich noch durchquere? Weiß ich’s? Die Kutsche rollt ja noch …