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Marie-Thérèse Schins

Mythos Coco Chanel

Nr 172 | April 2014

Sie wollte kein Korsett, nicht im Kopf und nicht am Körper

Im jüngst erschienenen Bilderbuch von Annemarie van Haeringen für kleine und große Mädchen, Coco und das Kleine Schwarze, springt eine füllige, halb nackte Frau jauchzend vor Lebensfreude fast aus dem Buch, während sie ihr Korsett im hohen Bogen von sich wirft. Genau das war es! Endlich befreit vom Eingeschnürtsein! Coco Chanel (1883 – 1971) schaffte diese Revolution durch komplett neue Mode-Ideen: legere, bequeme und elegante Haute Couture für die Frau in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts. Es war der Anfang einer kometenhaften Karriere der Perfektionistin.
Wie kam es dazu? Ihre Jugend verschönerte sie später gerne. Doch vom Vater als Halbwaise vernachlässigt, landete das Kind Germaine (Coco) in der Obhut von katholischen Nonnen im Waisenhaus. Dort lernte es eiserne Disziplin, schneidern und sticken. Sicherlich eine Grundlage für ihr hart erarbeitetes Geschäftsglück.
Als junge Frau umschwirrten sie bald mehrere Gönner – und so konnte sie einen Hutsalon eröffnen (1910), kurze Zeit danach eine Boutique in Deauville (1913) und 1919 ihr Modeatelier in Paris, das sich immer noch in der Rue Cambon 31 befindet.
Cocos Vorstellung von vielseitiger Freiheit für Frauen war bahnbrechend, geprägt durch einen markanten Modestil, der ab 1983 bis in die heutige Zeit auch durch ihren Nachfolger Karl Lagerfeld Furore macht.
Mehrere Meilensteine gab es für ihren erfolgreichen Ruhm, die in der absolut sehenswerten Ausstellung Mythos Chanel derzeit in Hamburg zu besichtigen sind: Das Kleine Schwarze wird in vielen Variationen (auch von anderen Designern) in einem großen Raum ästhetisch präsentiert. (C&A verteilte am 31.10.1926 Flugblätter mit dem Text: «Schwarze Stoffe erhältlich. Umfassende Auswahl, auch in weiteren Größen. Ab Montag. Keine schriftlichen Bestellungen!»)
In mehreren Vitrinen ist üppiger, leuchtender Modeschmuck ausgestellt, passend zu allem, was aus ihrem Haus kam. Marlene Diet­richs spezial angefertigte Garderobe ist ebenfalls zu bewundern.
Im Raum mit den originalen und kopierten Chanelkostümen (ab 1957), die Coco endgültig unvergesslich machten, hängt ein großes Foto von Jackie Kennedy am Tag des Attentats. Sie trägt ein rosa Chanelkostüm mit Pillbox, passenden Slingspumps und der kleinen Tasche mit Trageriemen. Allerdings zahlte man für die autorisierten Originale den Preis eines Kleinwagens (und tut es immer noch).
Für weniger betuchte Frauen hatte Coco eine ungewöhnliche, groß­zügige Lösung parat: Ihre Modelle durften bis zu einem bestimmten Grad kopiert werden. Das Deux-Pièce und Trois-Pièce mit Messingknöpfen, Paspeln und aufgesetzten Taschen wurden für fast jede Frau erschwinglich. Schnittbögen gab es zudem in Zeitschriften. Großartig!

Ich bin mitten in der sorgfältig arrangierten Ausstellung Mythos Chanel, sehe den allerersten Parfumflakon von Chanel Nr. 5 (1921) unter Glas mit einem Rest des edlen Duftwassers. Das Parfum löste einen Boom aus, nachdem Marilyn Monroe meinte: «Ich brauche nur einen einzigen Tropfen für die ganze Nacht.» Filme über Coco laufen an einer Wand, in Vitrinen liegen Erstausgaben der Vogue, Elle, Neue Mode und Burda mit Titelseiten der Chanelmodelle. Plakate, Fotos, Skizzen, viele aus dem Bestand des Museums, ergänzen die Exponate. Irgendwann stehe ich ganz allein vor den bildschönen Kleinen Schwarzen, spüre tiefe Bewunderung für diese unglaubliche, unabhängige Persönlichkeit, bin fasziniert von ihrer Willensstärke und ihrem Charisma. Was alles hat sie für uns Frauen bis in die heutige Zeit bahnbrechend geschaffen: Danke, Coco!