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Daniela Drescher

Nr 173 | Mai 2014

Vom Glücklichsein

Was ist wirklicher? Das Auto in der Garage oder die Vorstellung, dass das kleine Volk im Winter durch die Hecken streift, um seine Vorräte mit den Vögeln zu teilen? Unsere Herzen möchten diese Frage wohl immer mit dem zweiten Satz beantworten, denn in ihm liegt das Erinnern an federleichte Kindertage, in ihm liegt ein leises Zunicken an das Leben und Glücklichsein.
Glück bedeutet für mich, im Atelier zu arbeiten. Nachdem ich glücklich die Kinder zur Schule geschickt, mehr oder weniger glücklich durch den Haushalt gewirbelt, nette E-Mails beantwortet und Telefonate geführt habe, wird es für ein paar Stunden still im Haus und meine Freunde erwarten mich schon ungeduldig.
Freunde wie der gute alte Fächerpinsel – ein echter Veteran, Bunt­stifte jung und unbescholten oder bis auf einen kurzen, aber würde­vollen Stummel heruntergespitzt. Knetgummis, die meine Kinder immer wieder zu kleinen Figuren formen, Farbtuben, so frisch, dass einem das Wasser im Munde zusammenläuft, oder ausgequetscht und runzelig, mir aber so sehr ans Herz gewachsen, weil gemeinsam viele Kämpfe gefochten, Niederlagen erlitten und Siege errungen.
Malen beginnt mit dem Beobachten und innerlichen Sammeln. Sammeln von Lichtern, Schattenspielen auf den Wegen und dem Leuchten in der Dämmerung. Welche Farbe hat der abendliche Gesang einer Amsel? Welche Formen haben Samenkapseln? Wie glänzt das Silber des Morgentaus, wie das goldene Grün eines Käfers?
Malen gibt mir die Möglichkeit, mit der Natur innig in Verbindung zu treten und sie so den Kindern nahe zu bringen. Indem ich ihnen das kleine Volk als Freunde und liebevolle «Verbündete» zur Seite stelle, kann ich sie ganz spielerisch an das Elementare in der Natur heranführen.
Neben dem kleinen Volk sind im Lauf der Zeit viele weitere Figuren in meinen Büchern entstanden: Merlind und Igor (die kleine Zauberin ist übrigens nach meiner jüngsten Tochter be­nannt), die kleine Elfe Flirr, der Troll Morchel usw. Und sie sind weit mehr als «nur» Figuren in meinen Bilderbüchern. Sie leben bei uns – und die Geschichten vervollständigen sich manchmal am Küchentisch aus einer Situation heraus.
Natürlich leben und reifen die Geschichten lange Zeit vorher in mir, sie begleiten mich jeden Tag, denn das Schreiben und Malen findet nicht allein im Atelier statt – es durchzieht irgendwie mein ganzes Leben.
Inzwischen arbeite ich an zwei bis drei Buchprojekten gleichzeitig, so kann ich immer dort anknüpfen, wo neue, innere Bilder ent­stehen. Ich möchte den Betrachter einladen, zu verweilen und sehe ein Bild, ein Bilderbuch auch als eine Art «Schutzraum», in dem er sich frei bewegen und entfalten kann. Das Bilderbuch bietet eine Möglichkeit, das kleine (und große) Kind auf humorvolle und ehrliche Art und Weise an die Welt heranzuführen.
Jedes neue Bild ist der Beginn eines kleinen Abenteuers, bei dem ich nie genau weiß, wohin mich die Reise führen, bzw. wie das Motiv letztlich aussehen wird. Blumen wachsen, Käfer krabbeln über das Papier, Schmetterlinge und Vögel flattern herbei, setzen sich auf eine Blüte oder einen Zweig und fliegen manchmal wieder davon. Malen ist Zwiesprache, malen ist Magie.
Im Zusammenspiel von Atmosphäre und Detaildarstellung er­mutige ich das Kind und auch den erwachsenen Betrachter, sich in der eigenen Seele zu orientieren, auf Entdeckungsreise zu gehen, wieder zu erkennen, sinnlich zu erleben und innerlich aktiv zu werden. Es öffnet Räume, in denen es der Seele erlaubt ist, sich in ihrem Reichtum kennenzulernen. Räume, die in der Gegenwart eher karg bemessen sind. Einfacher gesagt – und hier schließt sich der Kreis: Ich möchte mit meinen Bildern an das Glücklichsein erinnern.