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Birgitta Kicherer

Nr 176 | August 2014

Übersetzungsglück

Als ich vor Jahrzehnten anfing, Tove Janssons Bücher zu übersetzen, stieß ich im Lauf der Arbeit auf manche Ausdrücke, die mir fremd waren – altertümliche Wörter aus dem Finnland­schwedischen, das an der Küste Finnlands gesprochen wird und manche Eigenheiten bewahrt hat, die aus dem sogenannten «Reichsschwedischen» verschwunden sind. Also schrieb ich meine Fragen an die Autorin – und erhielt prompt Antwort. Sie schrieb mir in ihrer klaren, schön geformten Handschrift, ausführlich, liebenswürdig und sehr persönlich, oft mit einer kleinen Zeichnung oder einem lustigen Schnörkel versehen. Und das, obwohl ich gelesen hatte, wie sehr sie unter der Last der lawinenartig zunehmenden Korrespondenz litt. Mit Astrid Lindgren tauschte sie sich u.a. ausführlich darüber aus, wie viele Werke ungeschrieben bleiben müssten, weil sie beide so gewissenhaft jeden Brief beantworteten. Die Briefe stammten vor allem von Kindern, und beide Autorinnen vertraten die Ansicht, wenn ein Kind sich schon die große Mühe gemacht habe, einen Brief zu schreiben, habe es auch eine Antwort verdient. Am liebsten waren ihnen allerdings Briefe ohne Absender­angabe ...
Nachdem unsere Briefe ein paar Mal hin und her gegangen waren, hatte ich fast das Gefühl, wir würden uns kennen. Und kennen­lernen, das durfte ich sie tatsächlich: Zur Feier ihres achtzigsten Geburtstages wurde am 9. August 1994 in Tampere/Tammerfors ein dreitägiges internationales Symposium arrangiert, zu dem Literaturwissenschaftler und Übersetzer aus aller Herren Länder angereist kamen – aus Polen, Russland, England, den USA, Japan usw. Auch ich wurde dazu eingeladen und durfte mich im Laufe der Festlichkeiten in die Gratulationscour einreihen, um der gebrechlichen alten Dame, die alle Huldigungen in einem bequemen Sessel sitzend entgegennahm, die Hand zu drücken und mich als ihre deutsche Übersetzerin vorzustellen. Ihre lebendigen, humorvoll funkelnden Augen und die leise Stimme, in der sie sich auf melodischem Finnlandschwedisch mit mir unterhielt, werde ich wohl nie vergessen.
Obwohl sie schon von Krankheit gezeichnet war und es gewiss eine große Kraftanstrengung für sie bedeutete, nahm sie an sämtlichen Vorträgen und Diskussionen aufmerksam teil, ließ sich interviewen, fotografieren und bestaunen. Anschließend wurde sie in einer blumengeschmückten offenen Kutsche, mit einem Blumenkranz im Haar, durch die Straßen von Tammerfors gefahren, wo die Menschen ihr zujubelten – eine Feier, würdig einer Königin des Wortes und des Bildes.
Einmal wurde ich gefragt, was denn das Besondere an Tove Janssons Sprache sei, weil ich erwähnt hatte, ich würde mich ihren Texten nur mit angehaltenem Atem nähern. Meine Antwort war: Tove Janssons Sprache lebt vom Unausgesprochenen, von der Nuance einer Andeutung, von bewusst gesetzten Pausen, ist geprägt von Lakonie und versteckter, oft anarchistischer Komik. Beim Übersetzen gilt es da, jegliche Übertreibung oder Überbe­tonung zu vermeiden, ganz genau hinzuhören, damit keine feine Schwingung verloren geht – ganz besonders wichtig, um Tove Janssons hintergründigen Humor einzufangen.
Das trifft sowohl auf die wunderbaren Muminbücher zu als auch auf ihr reiches belletristisches Werk, das jetzt nach und nach dem deutschen Publikum zugänglich gemacht wird.
Die Begegnung mit Tove Janssons Werk ist etwas vom Wichtigsten und Schönsten in meinem Übersetzerdasein gewesen, selten habe ich mich so beschwingt und voller Vorfreude an die Arbeit gesetzt, im Wissen, dass mich jetzt das pure Übersetzerglück erwartet.