Margarethe von Trotta im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Filme wie Eisberge – zum Begreifen der Wirklichkeit

Nr 180 | Dezember 2014

Wer kennt es nicht? Wenn wir einen Film anschauen, vergessen wir unseren Alltag. Wir tauchen ein in das Leben der Helden auf der Leinwand, ahnen etwas von ihren Motiven, hoffen auf ein Happy End. So wie wir für unser eigenes Leben manches ahnen – und eigentlich wissen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Davon erzählen Filme, die uns berühren, Szenen, die uns nicht aus dem Kopf gehen ? wie beispielsweise diese aus dem Film «Hannah Arendt» (2012) von Margarethe von Trotta, als die deutsch-jüdische Philosophin beim Billardspiel zu ihrer Freundin sagt, mit einem Blick in die Ferne: «Es gibt Dinge zwischen Menschen, die kann man nicht erklären …» (über ihre alte Liebe zu ihrem Professor, Martin Heidegger). Die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Margarethe von Trotta ist eine herausragende Chronistin bewegender Geschichten. Ihre Filme, wie beispielsweise «Die bleierne Zeit» (1981), «Rosa Luxemburg» (1985) oder «Hannah Arendt» (2012), stellen konkrete Frauen in den Mittelpunkt, weisen aber zugleich auf Wesentliches hin, das aktuell ist. So steht die Philosophin Hannah Arendt für ein Verstehen-Wollen dessen, «was ist», für ein unvoreingenommenes Denken ? und für das Achten auf das eigene Fühlen. Genau dieser Prozess beginnt für Margarethe von Trotta mit jedem Film aufs Neue: Aufmerksames Denken und Fühlen bei der Arbeit an einem Film, der dann unseren Blick auf Vielfältigkeit und Tiefe der Wirklichkeit erweitern kann.

Doris Kleinau-Metzler | Frau von Trotta, aus welchen Gründen entscheiden Sie sich für einen bestimmten Filmstoff, was leitet Sie dabei?
Margarethe von Trotta | Es gibt für mich zwei Arten von Filmen, die ich meist abwechselnd drehe – das eine sind Filme, die nach draußen, in die Welt blicken (wie Rosa Luxemburg und Hannah Arendt) und wozu die Idee von jemand an mich herangetragen wird. Oft wehre ich mich erst, will eigentlich nicht. Dann lese ich einiges zu dem Thema, spreche mit anderen darüber, und so bohrt sich diese anfangs mir fremde Idee immer mehr in mich hinein. Ab einem bestimmten Punkt suche ich dann eine Entsprechung zu der jeweiligen Zeit, zur Hauptperson in mir selbst. Entscheidend für die Intensität einer Arbeit ist, dass man selbst darin etwas entdeckt, was für einen zutrifft, einen fasziniert. Rosa Luxemburg war eine radikale Revolutionärin, die im Grunde kein Blut sehen konnte und Anti-Kriegs-Reden hielt. Eigentlich wollte sie alles ausleben können, durfte es aber nicht: Frau sein und zugleich Kämpferin, Kinder haben und politisch aktiv sein. Der Film Rosa Luxemburg entstand Mitte der 1980er-Jahre, als in Deutschland die Friedens- und Frauenbewegung sehr stark war. Die Filme der anderen Art kommen aus meinem eigenen Inneren. Ich setze mich zum Beispiel vor ein weißes Blatt Papier und warte ab; so entstand Schwestern oder Balance des Glücks. Die «aktive Imagination» (nach C. G. Jung), mit der ich auf eine Art bewusste Traumreise in mein eigenes Inneres, mein Unbewusstes gehe, liefert mir Anregungen, die ich aufnehmen ? oder verwerfen kann. Mancher ist nicht neugierig auf dieses Paket aus Bewusstem und Unbewusstem; das In-die-Tiefe-Schauen ist aber das Material, auch ein Teil der Motivation, mit dem wir Künstler arbeiten.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

DKM | Als Zuschauer nehmen wir das Ergebnis Ihrer künstler­ischen Arbeit über die Schauspieler wahr, die für uns als die jeweils dargestellte Person absolut glaubwürdig sind. Müssen Ihre Schau­spieler den Text lernen und Sie als Regisseurin sagen ihnen, was zu tun ist?
MvT | Nein, das wäre schrecklich für mich, dann wären die Schauspieler ja Marionetten! Oft ist es so, dass wir zusammen das Drehbuch lesen und intensiv darüber reden, auch Original-Schauplätze besuchen. Die Vorträge, die Hannah Arendt im Film hält, sind beispielsweise gemeinsam mit Barbara Sukowa, die die Hannah Arendt spielte, intensiv erarbeitet worden. Bei den Vorarbeiten zu meinem neuen Film Die abhandene Welt sagte Katja Riemann beispielsweise einmal: «Das klingt irgendwie altmodisch, kannst du das nicht moderner sagen …» Entsprechend ändere ich. Meine Schauspieler sehen nach unserer Vorarbeit ihre Rollen vor sich und bieten mir durch ihr Spiel dann etwas an. Nur wenn es nicht stimmt, greife ich ein. Barbara Sukowa meinte einmal, dass sie gerade deshalb den Mut haben kann, in ihrem Spiel auch ganz ins Extrem zu gehen, denn ich würde sie zurückholen, wenn es zu viel wird. Ich lasse den Schauspielern große Freiheiten, aber sie wissen auch, dass ich ihnen helfe, wenn etwas in die falsche Richtung läuft.

DKM | Damit umschreiben Sie, weshalb Schauspieler berühren, fesseln können – wenn «es stimmt», kann ich dieses Gefühl, diese Situation, die dargestellt wird, wie von selbst in mir nachvollziehen. Als Regisseurin müssen Sie ? wie der Maler sein fertiges Bild ? den abgeschlossenen Film vor Augen haben. Mit den einzelnen Pinselstrichen bzw. Szenen malen Sie «Seelenlandschaften», so zitieren Sie einmal den schwedischen Regisseur Ingmar Bergman. Was meinen Sie damit?
MvT | Seele ist für manche vielleicht ein altmodisches Wort, aber ich kann damit etwas anfangen. Das sind all diese Verästelungen in einem, die man nicht benennen oder klar definieren kann, die aber da sind, und die einem eine gewisse Orien­tierung geben und führen können. Die Schauspielerin Agnes Fink, die in zwei Filmen von mir mitspielte, sagte einmal: «Deine Filme sind wie Eisberge. Man sieht nur eine kleine Spitze, aber die Hauptsache ist unterhalb des Wassers, unterhalb der sichtbaren Oberfläche.» Der Film als eine Seelenlandschaft, die Bewusstes und Unbewusstes umfasst. Sicher muss in jedem Film viel Faktisches berücksichtigt werden (Biografisches, die Zeit und ihre Moden, Gesellschaft und Politik). Aber in jede Szene muss auch etwas anderes hineingelegt werden, eine Art unterirdische Emotion mitspielen, damit es eine lebendige Erzählung wird. Das erfindet man auf der Grundlage der Informationen, die man sich erarbeitet hat – aber letztlich muss man sich darauf verlassen, dass man innerlich mit dieser Geschichte, diesen Personen mit empfindet, dass es so stimmen könnte. Und das geht nur, wenn man gleichzeitig bei sich selbst ist und in sich sucht, was man für die Szene brauchen könnte. Zum Beispiel bei Rosa Luxemburg: Wie fühlt sich Eifer­sucht für mich an? Oder: Was war sie für ein Mensch privat, im Umgang mit ihrer Katze, in der Liebe zu ihrem Mitstreiter und Freund?

DKM | Ihr Film Hannah Arendt hat den Untertitel Ihr Denken veränderte die Welt. Während des Films sieht man, wie Hannah Arendt sich immer wieder in die Stille zurückzieht und nachdenkt, darauf beharrt, dass ihr Denken weit vor dem Schreiben entstehen muss und Zeit braucht. Ich frage mich, wie oft wir unser Denken als eine eigene innere Tätigkeit ansehen, die Ruhe und Zeit braucht … Wie kamen Sie dazu, das Denken so in den Mittelpunkt zu stellen?
MvT | Ja, auch Kollegen haben mir bestätigt, dass in diesem Film klar gezeigt wird, was Denken ist und sein kann. Für meine filmische Arbeit ist die Aussage von Hannah Arendt aus Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft zentral: «Begreifen bedeutet, sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklichkeit, was immer sie ist oder war, zu stellen und entgegenzustellen.» Auch ich will verstehen und nicht vorgegebene Bewertungen darstellen. Acht Jahre habe ich mich mit Hannah Arendts Texten, vor allem auch mit Briefen und dann Begegnungen mit Zeit­zeugen, beschäftigt, war mit der Co-Drehbuchautorin und der Hauptdarstellerin Barbara Sukowa immer wieder im Gespräch. Irgendwann spät bildete sich heraus, dass Mittelpunkt des Films die vier Jahre sein sollten, als Adolf Eichmann (der für die Logistik der Juden-Transporte in Konzentrationslager verantwortlich war) 1960 in Jerusalem vor Gericht gestellt wurde. Hannah Arendt beobachtete als Reporterin den Prozess (sie hatte als Jüdin in die USA emigrieren müssen; durch ihr Buch Eichmann in Jerusalem. Von der Banalität des Bösen wurde sie später weltweit bekannt). Letztlich ist es so, dass uns dies widerfahren ist, dass das Denken auf diese Art dargestellt werden konnte … In jedem Film passiert manches, verbirgt sich unabhängig von meiner Absicht manches, das mir nicht bewusst war. In meinem Film Heller Wahn mit Hanna Schygulla und Angela Winkler ist Angela Winkler eine Frau, die malt, aber nicht den Mut hat, eigene Bilder zu malen. Sie geht in Museen und malt die Bilder, die ihr gefallen, ab. Ich habe das Drehbuch geschrieben, den Film gedreht – irgendwann später ist mir plötzlich eingefallen: Als ich als junges Mädchen das erste Mal in Paris war, wollte ich noch Kunstgeschichte studieren und bin oft in den Louvre gegangen. Mir fiel eine Frau auf, die mit ihrer Staffelei vor den großen Meistern saß und diese in Schwarzweiß abmalte (heute dürfte man das sicher nicht mehr). Das hatte ich völlig vergessen und im Film untergebracht, ohne daran zu denken. So setzen sich Dinge, die einen beeindrucken, in einem ab, und irgendwann holt man sie dann als Material für die eigene Gestaltung wieder hervor. Oder es verbirgt sich etwas, was sich erst später als wesentlich für mich selbst herausstellt – so erfuhr ich erst nach meinen Film Schwestern, dass ich eine ältere Schwester habe.

DKM | Sie stellen immer wieder Frauen und ihre Möglichkeiten in der jeweiligen Zeit dar. Wie gehen Sie in Ihrer Zeit mit Ihren Möglichkeiten um?
MvT | Ich bin noch in einer Zeit aufgewachsen, wo man den Frauen nicht viel zugestanden hat, was man heute leicht vergisst. Bis in die 1960er-Jahre hinein durfte eine verheiratete Frau nicht berufstätig sein, wenn der Ehemann nicht einverstanden war, durfte kein eigenes Konto haben usw. Meine Generation musste sich wirklich aus dieser Abhängigkeit herausarbeiten. Dabei ging es aber nicht nur um die äußere Abhängigkeit, sondern man war ja auch im Kopf entsprechend geprägt mit einer eingeengten Sicht auf die Welt und die eigenen Möglichkeiten. Wenn der Kopf frei ist und man zunächst ahnt, dann immer klarer sieht, was man selbst will, kann der Wille wachsen, sich dafür mit aller Kraft einzusetzen. Erst wenn man erkannt hat, in welchen Formen man abhängig ist, kann man seine eigenen Möglichkeiten nutzen und sein Leben selbst in die Hand nehmen.