Inmitten aller Vergänglichkeit

Nr 181 | Januar 2015

Liebe Leserin, lieber Leser

Wo finde ich «inmitten aller Vergänglichkeit» – um diesen Ausdruck der Wiener Dichterin Christine Busta aus ihrem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichtband zu verwenden – das Überdauernde, das Nicht-Vergängliche? Zum 70. Geburtstag, am 23. April 1985, wünschten sich einige ihrer treuen Leserinnen und Leser, dass wieder ein Gedichtband ihrer verehrten «Busta» erscheinen möge. Wie müssen sie gestaunt haben, als daraufhin ein Band mit Gedichten der letzten drei, vier Jahre im Leben der Dichterin erschien, der von persönlichster Liebe in höherem Alter zeugte.

Ich hatte deine Spuren verwischt,
ich wollte dich nicht mehr suchen.
Ich gab dich für mich verloren.
Tränenlos war ich erstarrt.

Erst als du mich wiederfandest,
lernte ich weinen um dich.
Jetzt leb ich! *

Eine alte Liebe hatte Christine Busta wiedergefunden – nein, sie wurde von einer alten Liebe wieder­gefunden: Er, «der einem selber / so wichtig war, dass man glaubte, / alles vorher sei unwichtig gewesen, / und nichts könnte nachher wichtiger werden», war erneut ins spätere Leben der Dichterin getreten, wie es im titelgebenden Gedicht des Bandes heißt.
Ist es also die Liebe, die uns den Blick befreit für das Überdauernde? Von ihr wird immer wieder auf den Seiten dieses Lebensmagazins, in besonderem Maße in diesem neuen Jahr 2015, im hundertsten Jahr nach der Geburt von Christine Busta, die Rede sein. Und auch von einer anderen Form von Liebe als der zwischen zwei Menschen wird die Rede sein: von der Liebe zu einem besonderen Stück Erde, der Heimat.
«Du hast mich dir übersetzt. / Und ich verstehe mich selber neu», heißt es in der Widmung Christine Bustas zu ihrem letzten Gedichtband. Mögen wir alle mancherlei Gelegenheit im neuen Jahr wahrnehmen, uns selber neu zu verstehen.

Von Herzen grüßt, Ihr

Jean-Claude Lin