The Road Not Taken

Nr 182 | Februar 2015

«Der unbegangene Weg» – so hat der mitteleuropäische Dichter Paul Celan aus Czernowitz in der Ukraine den Titel des Gedichtes The Road Not Taken von Robert Frost übertragen. Alle Kinder in Amerika lesen es, hat Jesse Browner, den wir zu einem Gespräch trafen, erzählt: «Robert Frost steht da und kann sich nicht entscheiden. Die beiden Wege sehen ziemlich gleich aus, aber auf dem einen sind mehr Fußspuren, und er nimmt den weniger begangenen und sagt am Schluss: Und dieses war der ganze Unterschied. Er benennt den Unterschied nicht, er sagt nicht, ob der Unterschied gut oder schlecht war. Für die Amerikaner bedeutet das Individualität, Selbstbestimmtheit, eben nicht das Gleiche zu tun, wie alle anderen – auch wenn das natürlich gar nicht stimmt.»

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less travelled by,
And that has made all the difference.

In einem gelben Wald, da lief die Straße auseinander,
und ich, betrübt, dass ich, ein Wandrer bleibend, nicht
die beiden Wege gehen konnte, stand
und sah dem einen nach so weit es ging:
bis dorthin, wo er sich im Unterholz verlor.

Und schlug den andern ein, nicht minder schön als jener,
und schritt damit auf dem vielleicht, der höher galt,
denn er war grasig und er wollt begangen sein,
obgleich, was dies betraf, die dort zu gehen pflegten,
sie beide, den und jenen, gleich begangen hatten.

Und beide lagen sie an jenem Morgen gleicherweise
voll Laubes, das kein Schritt noch schwarzgetreten hatte.
Oh, für ein andermal hob ich mir jenen ersten auf!
Doch wissend, wie’s mit Wegen ist, wie Weg zu Weg führt,
erschien mir zweifelhaft, dass ich je wiederkommen würde.

Dies alles sage ich, mit einem Ach darin, dereinst
und irgendwo nach Jahr und Jahr und Jahr:
Im Wald, da war ein Weg, der Weg lief auseinander,
und ich – ich schlug den einen ein, den weniger begangnen,
und dieses war der ganze Unterschied.

Wie entstehen unsere Entscheidungen, wenn wir vor eine Wahl gestellt sind? Und muss man immer wehmütig an die nicht gewählte Option im Rückblick denken? Robert Frost fasst eine Ursituation des Menschen dichterisch zusammen: sowohl Wehmut wie auch eine feine humorvolle Ironie können empfunden werden. Und Jesse Browner meinte: «Wenn Gott eine Tür zuschlägt, öffnet er ein Fenster.» Sicherlich sind wir Menschen in diesem Sinne aufgerufen, wie Gott zu werden.

Von Herzen grüßt Sie,
Ihr Jean-Claude Lin