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Beatrijs Oerlemans

Sterngucker

Nr 184 | April 2015

gelesen von Simone Lambert

In diesem poetischen Märchen reisen zwei Kinder und ein schwarzer Kater mit einem Motorschiff zu den Orten ihrer Sehnsucht. Martin und Rosa sind die Passagiere (und die Matrosen), Kater Max ist der Kapitän (und der Smutje). Sie wollen den Sternschnuppenschwarm sehen, der nur alle fünf Jahre über der Katzeninsel niedergeht. Und sich dann etwas wünschen.
Es ist ein Abenteuer ohne Erwachsene. Nur vage kennt die Be­satzung die Richtung ihrer Fahrt. Max orientiert sich an der Sonne und nachts an den Sternen. Die Kinder genießen das faule Leben an Deck bei Sonnenschein genauso wie die Arbeit oder den Sturm.
Max ist der Erfahrene, die liebevolle und fürsorgliche Autorität, der sich die Kinder anvertrauen: immerhin ist er mit seinen zwölf Katzenjahren ein reifer alter Herr – und er hat magische Fähig­keiten. Seine geheime Kiste fördert immer genau das zutage, was die Kinder benötigen. Zum Beispiel eine Flasche, die als Flaschen­post zuverlässig den Kontakt zu den Eltern hält.
Der weise Kater bestimmt das erste Ziel der Reise: die Katzeninsel, die er vor zehn Jahren verlassen hat, ohne sich von seinem besten Freund zu verabschieden. Die Heimkehr ist glücklich, doch nach einer Woche reisen die drei von der Katzeninsel wieder ab. Max sagt: «Es war wunderbar … ich bin froh, dass ich mein Versprechen endlich eingelöst habe. Aber es ist auch schön, wieder wegzugehen. Diese Insel ist zu klein für meine Träume.»
Eine starke, entschlossene Person ist auch Rosa, Martins Freundin und Nachbarin. Rosa mit den roten Locken hat ein Holzbein, und im Verlauf der Reise wird sie Martin von dem Unfall erzählen, der ihrer Behinderung vorangegangen ist. Sie hat den Verlust verwunden. Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit will sie Hochseil­artistin werden. Furchtlos und geschickt klettert sie in die Masten ebenso wie in eine Zirkuskuppel. Als ihr auf der Zirkusinsel ein grandioser Auftritt gelingt, erobert sie sich ihr großes Ziel zurück.
Es ist Martins Boot, mit dem die drei ihre Ferienreise unternehmen, doch der zehnjährige Ich-Erzähler weigert sich lange, das Steuer­ruder einmal selbst in die Hand zu nehmen. Martin ist ein ängst­liches Kind, verunsichert, seit seine Mutter an Krebs gestorben ist. Indem er davon erzählt, kann er seine Trauer fühlen und sich von seiner Mutter verabschieden. Er lernt, die Lücke, die sie hinterließ, mit Erinnerungen zu füllen. Und sich seinem Vater zu öffnen.

Es liegt ein Zauber über dieser Reise. Sie ist wie ein kindliches vertieftes Spiel, das sich über lange Zeit hinzieht, wie so etwas manchmal in den Ferien der Fall sein kann. Die Kinder fotografieren und malen ihre Erfahrungen, sie staunen über die skurrile Katzeninsel oder den Zirkuslöwen, der vegetarisch lebt. Unabhängig von den Erwachsenen bewegen sich drei kindliche Versehrte auf dem unendlichen Meer der Seele und gehen ihren Träumen auf den Grund. Die wundervollen, intensiv farbigen Tableaus von Peter-Paul Rauwerda fassen diesen Zauber in Bilder und zeigen die Protagonisten stets winzig klein und geborgen in einem weiten, unbegrenzten Raum. Martin, Max und Rosa verwandeln Schmerz, Verlust und Abschied in Handlungs­fähigkeit, Hoffnung und Schönheit. Und am Ende steuert Martin sein Boot – nach Hause.


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