Ohne Brücken

Nr 187 | Juli 2015

Liebe Leserin, lieber Leser!
Es ist dies eine merkwürdige Nummer, die 187. Ausgabe des Lebensmagazins a tempo mit der Quersumme 7 im siebten Monat dieses Jahres. Nicht nur, dass der Schauspieler Fabian Hinrichs, der wahrlich nicht auf den Mund gefallen ist, von seinem Erlebnis während seines Zivildienstes in einem Altenheim spricht, wie wenn es ein «Sackbahnhof zum Tod» wäre. Nein, er spricht auch von einem zeitweilig ihn beherrschenden Gefühl, getrennt von sich selbst zu sein! Ihm zur Seite schreibt der sanftmütige kanadische Schriftsteller Iain Lawrence, wie er auf seiner Insel Gabriola an der Westküste Kanadas heimisch wurde. Ihm ist die geliebte Insel «wie ein Heim für alt gewordene Superhelden». Doch sind für Iain Lawrence Inseln wie Schiffe: man betritt sie und wird auf eine Reise mitgenommen. Allerdings gehört es zu richtigen Inseln, dass sie keine Brücken haben, über die sie mühelos zu erreichen wären. Dann schreibt der Jurist und Journalist Christian Hillengaß auch noch über die Frage «Was heißt hier cool?» und zeigt sich dabei zunächst von seiner «uncoolsten» Seite!
Bei all diesen Gegensätzen und Widersprüchen schwirrt mir im Kopf der Ausdruck «Every man’s an island» – jeder Mensch ist eine Insel. Wenn ich ihn in die Suchmaschine eingebe, erhalte ich aber auch «No man is an island» und werde auf John Donne verwiesen. Ja, das ist es, was ich dunkel suchte, denn in meinem Abitur hatte ich mit den englischen «metaphysischen» Dichtern des frühen 17. Jahr­hunderts zu tun, deren führender Repräsentant John Donne gewesen ist. In seiner 17. «Meditation» hat Donne die weitverbreitete Vorstellung, jeder Mensch sei eine Insel, verneint: «Kein Mensch ist eine Insel, ein Ganzes je für sich; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes. Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird, wird Europa weniger, genauso als wenn’s eine Landzunge wäre, oder ein Landgut deines Freundes oder dein eigenes. Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin Teil der Menschheit; und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt, sie schlägt dir selbst.»
Wie eine Insel kommt mir aber jeder Mensch insofern vor, als richtige Inseln keine Brücken haben – und kein Mensch ist mühelos wirklich zu erreichen.

Auf dass wir uns die Mühe geben, den anderen Menschen, dem wir begegnen, zu erreichen, grüßt von Herzen,
Ihr

Jean-Claude Lin