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Michael Stehle

Elsa Beskow

Nr 194 | Februar 2016

Seit hundert Jahren modern

Die schwedische Kinderbuch-Autorin und Illustratorin Elsa Beskow (1874–1953) wurde bereits im zarten Alter von vier Jahren zur Erzählerin. Sie hatte früh Lesen gelernt und von ihren jüngeren Geschwistern die Rolle zugeteilt bekommen, ihnen vorzulesen und Geschichten zu erzählen. Mit sieben Jahren beschloss sie aus Ärger über Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter, selbst Märchen zu verfassen und zu illustrieren.
Ihre kritische Haltung gegenüber den moralisierenden Geschichten des Struwwelpeters kam nicht von ungefähr: Als kleines Kind besuchte Elsa Beskow die Schule ihrer beiden Tanten Amalia und Berta Maartman, die eng mit der Reformpädagogin Ellen Key zusammenarbeiteten. Diese beiden Tanten, in deren Haus Elsa mit ihrer Mutter und zahlreichen Geschwistern nach dem Tod des Vaters zog, spielten für das junge Mädchen eine besondere Rolle. Auch der Onkel Eugène, der als einziger Mann im Haus der ledig gebliebenen Tanten wohnte und seinen Lebensunterhalt als Musikkritiker und Redakteur verdiente, wirkte sich prägend auf die Erziehung aus.
Der Umgang mit diesen drei Verwandten war es, der Elsa Beskow dazu brachte, ihre Bücher über Tante Grün, Tante Braun und Tante Lila zu verfassen. In diesen Büchern leben
die genannten Tanten gemeinsam in einem Haus, in das im ersten Band das Geschwisterpaar Peter und Lotta einzieht.
Das Personal ist unschwer aufzuschlüsseln: Hinter der unter­nehmungslustigen und humorvollen Tante Grün verbirgt sich Elsa Beskows freigeistige Tante Amalia, die gutmütige und praktisch veranlagte Tante Berta finden wir in Tante Braun wieder, und Elsas romantisch veranlagte Mutter Auguste Maartman tritt als Tante Lila auf. Der bildungsbeflissene Onkel Eugène schließlich bekommt die Farbe Blau zugewiesen, womit das er­wachsene Hauptpersonal abgeschlossen wäre. Bleiben die beiden Kinder Peter und Lotta, für die Elsa selbst sowie ihr ein Jahr älterer Bruder Hans Paten standen.
Der Umzug zu den Tanten brachte eine Trennung der Kinder mit sich, da nicht die ganze kinderreiche Familie Platz im Stockholmer Tanten-Haus fand, und so wurden Elsa und Hans voneinander getrennt. Dies ist der biografische Hintergrund dafür, dass die beiden Geschwister in den Tanten-Büchern als Waisenkinder auftreten und im Haus der drei unverheirateten Damen ein neues Zuhause finden.
Im ersten der Bücher um Tante Grün, Tante Braun und Tante Lila (und Onkel Blau) werden die beiden Kinder, von denen wir nur erfahren, dass Mutter und Vater gestorben sind und sie bei einer Wäscherin leben, die sie nicht mag, mit offenen Armen im Tanten-Haus aufgenommen. Im zweiten Band wird Tante Brauns Geburtstag gefeiert, was zu einigen Schwierigkeiten führt, da die Besorgung eines geeigneten Geschenks sich als außerordentlich kompliziert erweist. In der dritten Geschichte können Peter und Lotta zeigen, dass der Unterricht, den sie bei Onkel Blau erfahren, Wirkung zeigt: Teil seiner humanistischen Lehre ist es, den Kindern beizubringen, dass man böse Menschen in gute verwandeln könne, indem man ihnen gegenüber freundlich sei. So entscheiden die Kinder, der Wäscherin, die sie in der Vergangenheit so schlecht behandelt hatte, ein Kätzchen zu schenken, was zwar mit neuen Komplikationen verbunden ist, schließlich aber dazu führt, dass die Kinder wieder wohlbehalten im Haus der Tanten eintreffen und den Jahrmarkt besuchen dürfen.
Was alle Geschichten Elsa Beskows aus dieser Reihe vereint, ist das Freilassende und Moderne, das sich hinter der Biedermeier-Ästhetik der Illustrationen verbirgt, sodass es nicht verwundert, wie groß der Anhängerkreis der «Tanten-Bücher» unter Kindern und Eltern wie Großeltern ist.