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Rosemary Sutcliff

Schwarze Schiffe vor Troja – Die Geschichte der Ilias

gelesen von Simone Lambert

Nr 197 | Mai 2016

Die Geschichte vom Fall Trojas ist die Geschichte eines Krieges. Also von etwas, dass sich zwar analysieren, aber nicht erklären lässt. Der Mythos vom Trojanischen Krieg ist, dank der Dichtungen Homers und Vergils, bis heute im kulturellen Gedächtnis verankert.
Rosemary Sutcliffs gut lesbare Nacherzählung Schwarze Schiffe vor Troja verdichtet und beschleunigt die Epen geschickt. Erzählt wird die Vorgeschichte des Krieges: vom Apfel des Paris, dem Raub der schönen Helena und vom Kriegszug der Griechen, um Helena zurückzuholen und die Troer zu strafen. Und dann vor allem das entscheidende zehnte Kriegsjahr nach der neunjährigen Belagerung Trojas. Die Griechen sind zermürbt, die Schiffe marode, die Soldaten haben Heimweh.
«Besinge o Muse den Zorn des Peliden Achill.» Mit diesem Vers beginnt die Ilias. Achill, der junge, nahezu unbesiegbare Kämpfer der Griechen, verweigert nach einer launischen Entscheidung Agamemnons, Großkönig der Griechen, voller Groll seine Kriegsdienste. Das ermutigt die Troer zu Angriffen. Es kommt zu grausamen Kämpfen, in deren Folge Achills bester Freund Patroklos stirbt und Achill in seinem Schmerz und Zorn Hektor, Sohn des trojanischen Königs Priamos, im Zweikampf tötet und dessen Leichnam zwölf Tage und Nächte um Patroklos’ Grabhügel schleift, bis «die Götter … sich einig [waren], dass der große Achilles sich selbst und die Erde in seinem Wahnsinn entehrte und dass die Sache ein Ende finden musste.» Die Ilias endet, als Achills Zorn zu Trauer gereift ist: Gemeinsam mit Priamos, der ihn um den Leichnam seines Sohnes bittet, weint er – der eine um seinen Sohn, der andere um seinen Freund.
Sutcliff folgt mit subtiler psychologischer Wahrnehmung aber auch den weiblichen Figuren des Dramas. So Helena, die bereut, Paris, dem charmanten und feigen Egozentriker, gefolgt zu sein: «Wären die Götter mir freundlicher gesinnt, so wäre ich nicht an jemanden gebunden, der von seiner Frau zum Kampf gedrängt werden muss.» Die Autorin interessiert auch Paris’ Liebesbeziehung zur Nymphe Oenone, die er für Helena verlässt. Ihre Rache wird tödlich für ihn sein.
Der Ausgang des Krieges wirkt überraschend. Die Trojaner, allen voran Priamos und Hektor, sind weise, edle Männer von moralischer Überlegenheit. Ihnen eilen Verbündete zu Hilfe, bereit, für Priamos ihr Leben zu lassen. Dagegen ist das griechische Heer uneins, wird von einem wenig souveränen Großkönig geführt und hat einen Helden, der sich von seinen Emotionen beherrschen lässt. Aber die Griechen haben Odysseus. Er ist derjenige, der einschätzen und vorausdenken kann. Er hat die entscheidenden Ideen; dank der List des trojanischen Pferds erringen die Griechen den Sieg.

Der Mythos handelt von Krieg, von menschlichen Fehlern und der tief im Leben verankerten Nähe der griechischen Götter. Mit einer meisterhaften Sprache, von Astrid von dem Borne kongenial ins Deutsche übersetzt, beweist Rosemary Sutcliff, dass das Jahrtausende alte Epos noch immer eine spannende und faszinierende Lektüre ist. Während die brillanten Illustrationen Alan Lees (2004 für seine Szenenbilder der Herr-der-Ringe-Filmtrilogie mit dem Oscar ausgezeichnet) dem Buch eine märchenhafte und fantastische Note verleihen, bleibt ihre Fassung – die denen von Gustav Schwab, Walter Jens und Franz Fühmann in nichts nachsteht – den Menschen treu, den Motiven und Schicksalen der weltberühmten Protagonisten.