H2O

Nr 199 | Juli 2016

Liebe Leserin, lieber Leser

Schon sehr früh im Leben lernen wir es lieben: das Wasser. Wir werden darin gebadet und laben uns an seiner Leben erhaltenden Erquickung. Tagelang können wir als Kind am Meer oder an einem Bach spielen. Und schon eine Pfütze übt eine unwiderstehliche Faszination auf das kindliche Gemüt aus. Woher kommt diese herrlich bewegliche, für das Licht so wunderbar durchsichtige Substanz?
In der Schule lernen wir schließlich: Wasser ist H2O, besteht aus einer molekularen Verbindung zwischen zwei Atomen Wasserstoff mit einem Atom Sauerstoff. Aus zwei gasförmigen Elementen entsteht eine Flüssig­keit. Aber wie anders ist die Beschaffenheit und das Verhalten dieser zwei Elemente im Vergleich zu jenen des Wassers! Wasserstoff ist das erdflüchtigste aller natürlich vorkommenden Gase. Etwa 75 Prozent der Masse aller im Kosmos vorhandenen Materie besteht der Spektralanalyse zufolge aus Wasserstoff, wie Gunter Gebhard in seinem Beitrag über Wasserstoff als «Wärmeträger für irdisches Leben» im Buch Chemie verstehen berichtet. Um Wasserstoff zu verflüssigen, bedarf es einer Abkühlung auf sage und schreibe -252,8 °C, was dem absoluten Nullpunkt von -273,16 °C sehr nahe kommt. Dies weist auf eine ungeheuer große latente Wärme von Wasserstoff hin. Sauerstoff dagegen, mit all seinen Verbindungen zu Oxiden und Salzen, ist «das mit Abstand häufigste Element der Erde», wie Volker Seelbach es in seinem Beitrag über den Sauerstoff als «Element des Lebens» ebenfalls in Chemie verstehen beschreibt. So ist Wasser die zur Substanz gewordene, allwaltende Verbindung von Himmel und Erde.
Wenn man zudem auch der Entstehung des Wassers durch das Entzünden eines Volumens Sauerstoff mit zwei Volumina Wasserstoff unter lautem Knall beiwohnt und sich im Einzelnen vergegenwärtigt, wie anders das Wasser ist als seine ihn «ausmachenden» Elemente, dann wächst die Bewunderung für das heilige Nass ins Unermessliche! Wie Ernst-Michael Kranich in dem von ihm herausgegebenen Buch, Chemie verstehen, zu berichten weiß, ist das Wasser deshalb in so hervorragendem Maße das «Medium des Lebendigen», weil es selbst fortwährend im Entstehen ist. Im Wasser lebt, dank der so gegensätzlichen Eigenschaften von Wasserstoff und Sauerstoff, eine unentwegte Oszillation zwischen Verdichtung und Verflüchtigung. «Dadurch, dass es sich in statu nascendi befindet, können Kräfte eingreifen, die sich in ihrem Wirken unentwegt erneuern.»
Auf diese immerzu stattfindende Erneuerung, die auch das Leben ist, mögen wir immer mehr achten und die Ozeane und Gewässer unserer Erde schützen!

Von Herzen grüßt Sie, auch im Namen unserer beiden jungen «Wasserliebhaber» Safiye Can und Boyan Slat, Ihr

Jean-Claude Lin