Brigitte Werner

Red red roses

Nr 207 | März 2017

Das Lokal sah vornehm aus. Vornehm und teuer. Und wunderschön. Mit einer Terrasse zum See, mit diesen altmodischen Korb­sesseln – kein Plastik, ich hasse Plastik. Die Kellner trugen tatsächlich ein weißes Tuch über ihrem schwarzen Ärmel, gingen aufrecht und stolz, als wäre es eine Auszeichnung, von ihnen bedient zu werden. So sah es jedenfalls aus, aber da hatte ich mich schwer geirrt – wie so oft.
Meine Freundin und ich wollten unbedingt in dieses filmreife Lokal, aber nur, wenn die Sonne schien. Nur, wenn man draußen sitzen konnte. Kaffee und Kuchen waren bei diesen Preisen gerade noch möglich. Ich war die Erste, die dort eintraf, ich war etwas früh dran, so konnte ich in aller Ruhe die beste Sitzecke aussuchen. Es waren erst wenig Gäste da, denn es war noch nicht die richtige Kaffee­zeit. Ein älterer, gut aussehender Herr mit fast schon weißen Haaren saß etwas weiter weg. Er las die Times (!), kurz dachte ich verwundert, dass ich mich aus Versehen in so ein richtig englisches Miss-Marple-Landhotel verirrt hätte. Der Herr, der ein wenig so aussah wie Cary Grant kurz nach seinen besten Jahren, blickte auf, und sein Blick verweilte länger auf mir, als es höflich war. Ich blickte aus den Augenwinkeln zurück.
Gut, dass ich mich ein wenig aufge­brezelt hatte. Nicht zu viel, die Jeans musste bleiben, dazu aber diesmal keine Turnschuhe, sondern Schuhe mit Absatz und ein weißes Herrenhemd mit meiner gerade erstandenen roten Seidenrose am Revers. Die peppte mein Outfit klasse auf. Fand ich! Da war ich mir sicher! Bestimmt! Oder? Warum starrte er so? War ich heute etwa zu schön? Oder mal wieder voll daneben, wie manche finden, die meinen, mit sechzig plus wäre ich oft ein unmögliches No-Go. Hm, hm.
Keine Ahnung, wie meine Freundin hier gleich auftauchen würde, sie liebt es eher unauffällig, mochte aber in der Regel, was ich trug. Wo blieb sie nur? Ich wollte auf mein Handy schauen. Aber ich hatte es in der anderen Handtasche zu Hause gelassen. Der Kellner schritt heran. Er lächelte mir zu. Ich bestellte schon mal einen Kaffee. Er lächelte immer noch. Da traute ich mich und fragte ihn, ob er sich hier, in dieser zauberhaften Umgebung, wohlfühlte. Er nickte und strahlte. Seit 35 Jahren sei er hier, immer pünktlich, immer habe er rechtzeitig sein Geld bekommen. Immer nette Gäste. Wieder sein Lächeln, das mir gefiel. Als er den Kaffee brachte, beugte er sich zu mir herunter und flüsterte: «Der Herr rechts hinter Ihnen würde Sie gerne zu einem Glas Prosecco einladen!»
Na, denn mal Prost. Warum eigentlich nicht? Ich würde ihm erklären, dass gleich meine Freundin käme (die sicher auch unbedingt einen Prosecco wollte), und dann müsste er sich wieder zurückziehen. Da er wie ein Gentleman aussah, würde er ver­stehen. Ich nickte in seine Richtung, fühlte mich gerade zehn Jahre jünger oder noch mehr. Wann überhaupt jemals in letzter Zeit war mir so etwas passiert, verdammt noch mal? Wir saßen nun zu zweit an meinem Tisch, der Prosecco kam, ich wollte ihm gerade von meiner Freundin erzählen, als er sich plötzlich zu mir beugte und murmelte: «Das habe ich noch nie gewagt. Und hätten Sie nicht so hübsch ausgesehen, wär ich auch wieder ausgestiegen. Ich bin ein Feigling, wissen Sie?» Ne, wusste ich nicht. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Er holte aus seinem Jackett eine zerknitterte rote Rose mit Anstecknadel und zeigte auf meine, die gerade in der Sonne prächtig glühte. «Gut, dass Sie sich getraut haben», lächelte er. Ich verstand nicht.
«Na, unser Erkennungszeichen!» Lange Pause. Ich war fassungslos. Es gab sie also wirklich noch immer, die berühmte Rose für solche Abenteuer. Mannomann! Ich war platt. Musste ich jetzt den Prosecco wieder herausrücken? Hatte ich ihn mir nicht irgendwie ermogelt? Ich klärte ihn auf. Gott sei Dank war er in der Lage zu lachen. Wir haben uns gut unterhalten. Er hatte fast alle Bücher gelesen, die ich mochte. Oft im Original. Er liebte England.
Meine Freundin ließ mich hängen, seine Verabredung ließ ihn hängen, und es war ein schöner Tag. Ihn habe ich nie wieder gesehen. Aber ich beschloss, hier hin und wieder einen Prosecco zu trinken. Mit Seidenrose am Revers.