Dass wachsen kann

Nr 220 | April 2018

Liebe Leserin, lieber Leser!

«Dass wachsen kann, was wir für nicht denkbar und möglich halten», erhofft sich Adele Neuhauser in unserem Gespräch. Und dafür ist Kunst als «Dünger des Lebens» notwendig. Denn wir bräuchten Visionen, «die einen Nährboden schaffen für möglichst viele unterschiedliche Lebensmodelle und Gedanken».
Kunstvoll berichtet ja auch der Schreiber des Vierten Evangeliums, des «Johannesevangeliums», von den Ereignissen um den Christus zu Beginn unserer Zeitrechnung. Von ihm sagt der Täufer Johannes: «Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.» Und er, Jesus, ist der Christus, der Messias, was beides «der Gesalbte» heißt. Doch wer «salbt» den Menschen Jesus zum rechtmäßigen, von Gott eingesetzten König der Juden, ja der Menschen? Und wie findet diese heilige Handlung der Salbung statt?
Es ist die Schwester von Martha und Lazarus, Maria, die die Salbung vornimmt, in Bethania, sechs Tage vor «den Ostern», und nachdem ihr Bruder Lazarus vom Tode erweckt wurde. So heißt es im 12. Kapitel des Johannesevangeliums: «Da nahm Maria ein Pfund Salbe von ungefälschter, köstlicher Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber ward voll vom Geruch der Salbe.»
Die Füße, nicht das Haupt, salbt Maria, die einige in der christlichen Tradition mit Maria Magdalena gleichsetzen; und Maria vollendet die Salbung mit der überaus extravaganten, ungeheuerlichen Trocknung der Füße mit ihren eigenen Haaren, was Judas innerlich in Rage versetzt. Erst jetzt aber ist Jesus tatsächlich der «Christus», der «Gesalbte» – durch die Hand einer Frau, die «viel geliebt hat», wie es im Lukasevangelium heißt. Und wenn wir gleich im anschließenden 13. Kapitel des Johannesevangeliums lesen, wie Jesus nach dem Abendmahl aufsteht, seine Kleider ablegt, Wasser holt und die Füße seiner Jünger wäscht und mit einem Schurz trocknet – dann regt sich in einem ein Staunen, eine stille, scheue Ehrfurcht vor diesem Geschehen, in dem ein Mensch, eine Frau dem Herrn vorangeht mit ihrer Liebe.
Es scheint unmöglich, dass vom Tode Leben sprießen kann. «Warum ist diese Salbe nicht verkauft um dreihundert Groschen und den Armen gegeben?», hatte Judas empört gefragt. «Lasst sie in Frieden», entgegnete Jesus, «solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbnisses.» – Das Leben in der Liebe geht weiter als der Tod.

Von Herzen grüßt Sie in dieser Osterzeit
Ihr

Jean-Claude Lin