Dunja Hayali im Gespräch mit Maria A. Kafitz

Was wäre, wenn …?

Nr 224 | August 2018

Das Jahr 2018 hat es in sich für Dunja Hayali: Im Mai bekam sie das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, seit Juli läuft ihre eigene Sendung als fester Programmteil monatlich im ZDF und ab der neuen Bundesliga-Saison ergänzt die 44-Jährige, die an der Sporthochschule Köln studiert hat, das Moderatorenteam des «Aktuellen Sportstudios». Natürlich wird sie weiterhin im von ihr geliebten «Morgenmagazin» an der Seite von Mitri Sirin zu sehen sein und sich auch zukünftig für die ihr sehr am Herzen liegenden Vereine «Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland» (www.gesichtzeigen.de), «Save the Children» (www.savethechildren.de) und «Vita Assistenzhunde» (www.vita-assistenzhunde.de) engagieren.
Bei unserem Treffen im trubeligen Berlin hat man schnell den Eindruck, dass diese so unterschiedlichen Aufgaben überaus gut zu ihr passen. Denn auch im Gespräch – und normalerweise ist sie es ja, die fragt und andere antworten lässt – wechselt sie in Windeseile zwischen Nachdenklichkeit und Leichtigkeit, zwischen aufmerksamem Zuhören und schlagfertigem Antworten.

Maria A. Kafitz | Liebe Dunja Hayali, lassen Sie uns zum «Aufwärmen» – schließlich moderieren Sie ja bald Ihr erstes Sportstudio – mit einem Spiel beginnen. Ich habe gehört, dass Sie für Entscheidungen gerne eine Münze zur Hilfe nehmen …
Dunja Hayali | Ja! Ich habe jedoch gerade meine Lieblingsmünze verloren. Aber ich habe eine neue …

MAK | Die werden Sie aber nicht brauchen. Es gibt nur Begriffspaare, zwischen denen Sie sich entscheiden müssen. Fangen wir doch ganz klassisch mit der Frage aller Entscheidungsfragen an: Kopf oder Zahl?
DH | Ich dachte, Kopf oder Herz. Kopf! Ich bin leider oft zu kopfgesteuert.
Fragen oder Antworten? Fragen.
Sommer oder Winter? Sommer, und ich mache den Winter zum Sommer.
Morgen oder Abend? Abend.
Meer oder Berge? Meer.
Stadt oder Land? Beides. Die Mischung macht?s.
Essen gehen oder Essen kochen? Essen kochen.
Käse oder Wurst? Käse. Ich esse kein Fleisch, trinke keine Milch. Ich wertschätze und achte Tiere.
Filme oder Serien? Serien.
Bauhaus oder Barock? Bauhaus.
Roman oder Sachbuch? Roman.
Ballonfahrt oder Bungee-Jumping? Bungee-Jumping.
Angriff oder Verteidigung? Sowohl als auch, vorne wie hinten, links wie rechts.
Videobeweis oder besser doch keiner? Videobeweis oder besser doch keiner? Videobeweis. Ich bin da wirklich sehr gespalten. Ich finde, wenn er inflationär benutzt wird, ist das Spiel kaputt, auch der Spielfluss. Aber es gibt manchmal so grobe Fehlentscheidungen und eine solche sollte nicht darüber entscheiden, wer beispielsweise Weltmeister wird oder wer absteigt.
Sparbuch oder Geld ausgeben? Spenden.
Schlagzeug oder Geige? Ich wollte immer gern Schlagzeug, Saxophon oder Gitarre lernen. Mittlerweile – und das hätte ich vor zehn Jahren im Leben nicht gesagt – faszinieren mich Geige und ganz besonders das Cello. Cello beamt mich weg.
Ankommen oder weggehen? Mein Lieblingswort ist Sehnsucht.
Herdentier oder Einzelgängerin? Ich kann und will beides. Das habe ich sicher vom Tennis gelernt. Ich möchte Einzel wie Doppel. Es kommt halt immer auf die Situation an. Für meinen «Erfolg» bzw. meinen Werdegang habe ich mir in den letzten 24 Jahren den A… aufgerissen, aber nichtsdestotrotz: Ohne fördernde und fordernde Menschen, ohne meine Teams und sicher auch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, wäre ich möglicherweise nicht da, wo ich jetzt bin. Und was meine Sendungen anbelangt, bin ich ein Teamplayer. Ohne das Team läuft nix.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt | www.wolfgang-schmidt-foto.de | Durch die Bildergalerie geht's per Klick auf die Klammern

Reise in die Vergangenheit oder in die Zukunft? Gute Frage! Kennen Sie den Film «Sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht» mit Gwyneth Paltrow? Einmal kriegt sie die U-Bahn, einmal nicht. Im Folgenden sieht man, wie unterschiedlich ihr Leben verläuft.
Wir treffen ja tagtäglich hunderte Mini-Entscheidungen. Unbewusst und bewusst. Gehe ich zu Fuß zur Arbeit oder fahre ich mit dem Rad? Zu Fuß treffe ich vielleicht den Mann meines Lebens, mit dem Rad werde ich vielleicht überfahren. Und so gibt es ein, zwei große, bewusste Entscheidungen in meinem Leben, bei denen ich mich jetzt manchmal noch frage: Was wäre, wenn? «Stell dir mal vor …» ist aber ohnehin einer meiner liebsten Sätze, mit dem ich nicht nur meine Schwester in den Wahnsinn treibe. Deswegen vielleicht in die Vergangenheit mit der anderen Entscheidung, um zu gucken, wo es dann langgegangen wäre.

Zufall oder Schicksal? Karma. Wobei ich mit dem Karma auch hadere. Ich bin sehr am Buddhismus interessiert, doch der Gedanke «drei Leben zuvor war ich mal ein ganz schlimmer Krieger und deswegen werde ich in diesem Leben dafür bezahlen» ? das ist mir, auch wenn das jetzt eine sehr verkürzte und unzureichende Definition von Karma ist, irgendwie zu crazy. Aber wenn ich mich heute total danebenbenehme und morgen mein Fahrrad geklaut wird, dann denke ich manchmal schon: War das jetzt das Karma? Es gibt von Ajahn Brahm einen Dhamma-Talk dazu: Kamma without Belief!

MAK | Eine meiner «Horrorvorstellungen» als Jugendliche war es, dass ein weises Irgendwas mir in die Augen schaut und murmelt: «Noch sieben Mal musst du wiederkommen.» Das hat mir schlaflose Nächte bereitet! Dennoch denke ich, dass wir durchaus Zukünftiges mitverantworten.
DH | Na klar! Wir sind erst einmal für unser eigenes Tun und unser eigenes Handeln selbst verantwortlich. Egal wie schlecht es mir geht, egal wie pleite ich bin, egal wie krank ich bin, egal wie frustriert ich bin – das gibt mir keine Berechtigung, jemand anderen des­wegen in irgendeiner Form zu beleidigen und zu bedrohen. Erst einmal fange ich bei mir selbst an. Und dieses ewige «Die Politik da oben» finde ich vom Gedanken her schon zu kurz gegriffen. Wir sind alle dafür verantwortlich, was in diesem Land passiert, was sich verändert – oder was sich eben nicht verändert. Freunde von mir haben zum Beispiel drei Jahre dafür gekämpft, dass ihr Haus nicht an Spekulanten verkauft wird, sondern dass die Kommune es kauft. Es war anstrengend, zermürbend, frustrierend, weil sie keinen Kontakt zur Politik hatten, keine Ahnung von dieser ganzen Materie. Aber – sie haben es geschafft! Und jetzt laufen die stolz wie Oskar durch den Kiez. Das stärkt ja auch das Selbstwertgefühl. Sie haben es selbst gemacht, sie haben etwas bewegt.
Deswegen denke ich: Leute, meckern kann ich auch, mache ich ja auch, aber ich kann auch aufstehen und versuchen, irgendetwas zu tun oder zu verändern. Verantwortung immer nur zu delegieren, ist mir zu einfach. Und die Politik ist nicht dafür da, um mich morgens an die Hand zu nehmen oder mich durch mein Leben zu führen. Das wollen wir doch auch nicht wirklich! Immer nur dann, wenn es gerade passt, dann wollen wir es. Aber eines ist auch klar: Politik muss den Rahmen bzw. die Rahmenbedingungen gestalten, organisieren und vermitteln. Und bei allem, was ja auch gut läuft in unserem Land, gibt es einige Bereiche, in denen liegt leider etliches im Argen.

MAK | Was hat Ihrer Meinung nach dazu geführt, dass es so erschreckend normal geworden ist, überall zu schimpfen, zu hetzen und rechten und/oder populistischen Parteien europaweit so viele Stimmen zu geben?
DH | Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass wir hierzulande am Erfolg der AfD zwei Dinge ablesen können. Erstens: Wir haben in Deutschland einen Prozentsatz X, der ist rassistisch, xenophob, homophob, islamophob, antisemitisch, extremistisch und denken Sie sich noch 47 andere Begriffe aus, die in diese Richtung gehen. Und dann gibt es zweitens aber auch jene, die unzufrieden sind, die ein komisches Bauchgefühl haben. Die das Gefühl haben, sie werden nicht wertgeschätzt und anerkannt. Die sich ungerecht behandelt fühlen und sicherlich werden es einige auch. Die den Eindruck haben, alles in der Politik geht eigentlich an ihnen vorbei, alle gesellschaftliche Entwicklung geht an ihnen vorbei. Schlagwort: Digitalisierung, Globalisierung … Das nimmt man wahr und denkt sich – ich übrigens auch: Was tun? Wie tun? Wie be­wältigen? Wie mitgestalten? Und manche der «Überforderten» haben offensichtlich ein Auffangbecken bei gewissen Parteien gefunden.

MAK | Oder sind im unpolitischen Raum verschwunden, weil man eh nichts ändern kann.
DH | Wobei ich schon den Eindruck habe, dass sich die Gesellschaft, zwar nicht partei­politisch, aber insgesamt politisiert hat. Es mischen mehr Menschen mit – und mischen sich dabei ein. Auch über die sozialen Medien, weil natürlich die Beteiligung viel schneller, viel leichter und viel direkter passieren kann. Deswegen sind die sozialen Medien für mich Fluch und Segen zugleich. Barrierefreie Infos für fast alle, fast überall. Allerdings auch ungeprüft und ungefiltert.

MAK | Wie verändert das die journalistische Arbeit nicht nur mit, sondern auch in den Medien?
DH | Als Journalistin habe ich mein Handwerk gelernt. Was hat Relevanz? Was hat einen Neuigkeitswert? Was ist eventuell auch «nur» ein Redethema. Journalisten selek­tieren und gewichten demnach Nachrichten, weil ja auch nicht die ganze Welt abbildbar ist. Und das tun sie in den unterschiedlichsten Formen. Sie erstatten Bericht, sie ordnen ein, sie kommentieren, sie erläutern die Konsequenzen – und sie zeigen sogar Lösungen auf. «Konstruktiver Journalismus» nennt sich das Ganze. Im Netz weicht das alles auf. Jeder darf irgendwas in die Welt posaunen – egal, ob es stimmt oder nicht. Donald Trump hat das sogar fast schon perfektioniert. Schlimm ist, das sich Lügen schneller und weiter verbreiten als die «Richtigstellungen». Tja, woran liegt das? Das sollte sich auch mal jeder fragen.

MAK | Sie kennen es ja selbst nur allzu gut, dass bestimmte «Bereiche» Ihres Lebens von anderen – on- und offline – gerne besonders betont werden. Für einen haben Sie ein sehr schönes Wort erfunden und sagen, Sie hätten einen «Migrationsvordergrund».
DH | Die Rahmenbedingungen, die ich mitbringe – ich arbeite bei den Öffentlich-Rechtlichen, ich bin eine Frau, ich habe kurze dunkle Haare, ich habe Migrationsvordergrund, ich bin sexuell flexibel, ich bin tätowiert, rede mit Links wie Rechts (das passt ja auch nicht jedem) – da kommt natürlich auch viel zusammen, was den einen oder anderen überfordert. Ich persönlich finde, das sind alles äußere Merkmale, die mich selbst an meinem Gegenüber anfangs überhaupt nicht interessieren. Wenn ich auf jemanden treffe, schaue ich erst mal: Wie ist er? Wie behandelt er mich? Was sagt er? Wie redet er? Hat er ein Lächeln im Gesicht? Ist er humorvoll? Kann er Sarkasmus abhaben? Lacht er über sich selbst? Und dann finde ich es natürlich auch spannend und einen echten Mehrwert, wenn einer noch eine andere Biografie, eine andere Lebenswelt, eine andere Kultur oder eine andere Sprache mitbringt.

MAK | Ihrer Neugier am Menschen – wohl eine der besten «Grundausstattungen» für unseren Beruf – können Sie nun ja in vollen Zügen in Ihrer eigenen Sendung nach­gehen. Welchen Themen, welchen Menschen werden Sie sich zuwenden?
DH | Allen Menschen. Ich suche nicht aus, ich selektiere nicht, das Team und ich sind offen für Gäste und Themen. Und am Schlüssel des Erfolges wollen wir natürlich festhalten. Wir werden weiterhin Bürger mit Entscheidungsträgern ins Gespräch bringen, und ich werde weiterhin selbst hinausgehen. Raus aus der Komfortzone, raus aus dem Studio, hin zu den Menschen, hin zu den Geschichten. Dann kann man auch – und das weiß jeder aus eigener Erfahrung, egal ob Journalist oder nicht – nicht nur ganz anders darüber be­richten, sondern sich auch in der Diskussion ganz anders mit einbringen. Auf die Begegnungen, auf den Dialog – der so extrem wichtig ist, auch mit Menschen, die ganz anders ticken als man selbst! – freue ich mich wahnsinnig und würde jetzt am liebsten gleich mit der nächsten Geschichte loslegen!