Titelbild Hochformat

Drei ungleiche Gleiche

Maria A. Kafitz

Nr 149 | Mai 2012

«Kopf oder Zahl? Links oder rechts? Ja oder nein? Wo zwei Wege offen stehen, gibt es keine Freiheit, denn jedes Dafür ist erzwungenermaßen auch ein Dagegen … Erst wenn der berühmte ‹Dritte Weg›, wenn die Mitte zur Auswahl steht, beginnt das freie Spiel, wird aus Schwarz oder Weiß der Kosmos der Farben.» So beginnt Wolfgang Held in seinem Buch «Alles ist Zahl» seine Ausführungen über die Drei.

Was zuckt noch durch unsere Gedanken, wenn wir «drei» hören? Die drei Musketiere, die Dreifaltigkeit, das Dreieck, die drei Podestplätze, «drei sind einer zu viel» (oder doch vier zu wenig?), Platons Ideal vom Wahren, Schönen und Guten, die Zeit als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und natürlich die Grundfarben Rot, Gelb und Blau …
Ob der Kunsthistoriker und freie Kurator Jeremy Lewison eines Abends bei einem ähnlichen Gedankenspiel auf das Konzept zur Ausstellung Turner – Monet – Twombly. Later Paintings kam, ist zwar eher unwahrscheinlich – und dennoch hat er den zwei Welt­größen und Publikumsmagneten William Turner (1775 – 1851) und Claude Monet (1840 – 1926) mit Cy Twombley (1928 – 2011) einen unbekannteren Dritten zur Seite gestellt, der sie einerseits ergänzt und andererseits ihre Genialität verstärkt. Und er hat durch seine Leidenschaft für diese Künstler auch drei Museen durch die Zusammenarbeit für diese Ausstellung einander näher gebracht: das Moderna Museet Stockholm, die Tate Liverpool und die Staatsgalerie Stuttgart.
«Alle drei Künstler loten die Grenzen der Malerei aus und fordern die traditionelle Darstellungsweise radikal heraus. Eine fast obsessive Hingabe, malerischer Reichtum und Sinn­lichkeit sind die verbindenden Elemente, obwohl die Maler in verschiedenen Epochen gelebt haben … Obwohl sich alle drei mit den ewigen menschlichen Belangen auseinandersetzen – Zeit und Verlust, Erinnerung und Verlangen –, unterscheiden sich doch ihre Herangehensweisen deutlich. Hier gibt es viel zu sehen und nachzudenken», heißt es vollmundig im Vorwort des vertraut sorgfältig im Hatje Cantz Verlag erschienen Katalogs.
Und was können wir nun noch bis zum 28. Mai 2012 in der Staatsgalerie Stuttgart sehen? Rund 70 teils sehr großformatige Spätwerke dreier gleicher Ungleicher: Werke des hinreißenden und exzentrischen Briten William Turner, dessen verschleierte Landschaften und in Nebel getauchte Seestücke mit jedem verweilenden Augenaufschlag ein neues Geheimnis zu enthüllen vermögen. Vor nur einem seiner Bilder könnte man Stunden verbringen und würde doch immer wieder andere Nuancen und Ausschnitte entdecken. Gemälde des nicht minder eigenwilligen Claude Monet, dessen farbenprächtig hinbetupfte Licht­stim­mungen sich von der Leinwand abzuheben scheinen. Wenngleich sie derweil auf zu viele Taschen oder Servietten gedruckt oder als meist schlechte Reproduktionen in Hotelzimmer verbannt wurden, sind sie immer wieder eine Betrachtung wert. Und die Bildwelt des Amerikaners Cy Twombly, einem der wichtigsten Vertreter des abstrakten Expressionismus, dessen monumentale Zyklen einen zweiten, mehr noch einen dritten Blick einfordern. In der Farbigkeit meist zurückgenommen und mit nicht immer entzifferbaren und teils störenden Textsplittern überstreut, wirken viele seiner Bilder wie Ausschnitte, wie Fragmente eines größeren, nicht gezeigten Ganzen. Erobern Turner und Monet das Gemüt im malerischen Sturm, erklimmt Twombly das Herz über den Kopf.
Für Jeremy Lewison verbinden den Romantiker, den Impressio­nisten und den abstrakten Symbolisten ihr «Interesse für An­spielungen und Metaphern, die Auseinandersetzung mit Sterb­lichkeit, eine Vorliebe für atmosphärische Effekte und die Beschäftigung mit der Tradition des Erhabenen». Große Begriffe für drei große Künstler – durchaus. Und wenn sich ihre Werke in einer Ausstellung begegnen, kann es am Ende als Dreischritt nur heißen: hingehen – schauen – genießen!