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Thomas Neuerer

Hans Werner Henze

Nr 158 | Februar 2013

«Eine Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang …»

… So erinnert sich Hans Werner Henze 1953 an seine ersten, tastenden Kompositionsversuche im Alter von zwölf Jahren, und bezeichnet damit zugleich sein Lebensmotto. Henze bricht – in Opposition zur Seriellen Schule – die Verbindung zur musikalischen Vergangenheit nicht ab, sondern greift klassische Muster auf, verformt und verfremdet sie, bildet sie zu Neuem um.
Die Protagonisten der seriellen Schule gehen einen anderen Weg, indem sie über Schönberg hinaus, einen Neuanfang wollen. Dessen Fremdartigkeit vermag es zwar, das Publikum zu provozieren und zu überfordern, doch aufgrund des fehlenden Vergangenheitsbezugs wird der Schmerz über das Verlorene kaum evoziert, geschaffen wird hingegen eine quasi sehnsuchtsfreie Musik.
Henzes Lebensmotto setzt den Schwerpunkt des Schaffens mehr auf Sehnsucht, weniger auf Wohlklang. Wohlklang im traditionellen Sinn kann und will Henze auch nicht mehr erreichen. Das war schon Gustav Mahler kaum mehr möglich, den Henze zu schätzen wusste.
Henzes musikalischer Weg ist das Arbeiten an dieser Sehnsucht nach Wohlklang. Insbesondere im Frühwerk (wie dem Violinkonzert von 1946) scheint die innige Verbindung zum Vergangenen auf.
Der junge Henze orientierte sich hörbar an Paul Hindemith, mehr noch an Karl Amadeus Hartmann, mit dem er auch freundschaftlich verbunden ist. Sehr bald wendet sich Henze jedoch der Schönberg-Schule zu, nachdem ihm deren Werke zugänglich wurden und er sich mit der Zwölftontechnik befassen konnte. Bedeutenden Einfluss hat zudem das Werk des späten Igor Strawinsky, dessen Polystilistik Henze prägte.
Dem musikalischen Weg Hans Werner Henzes zu folgen, stehen zahlreiche Aufnahmen des breit gefächerten Werks zur Verfügung, teils von ihm selbst dirigiert. Nachzuverfolgen ist auch Henzes Weg als Autor mit kritischem Zeitbewusstsein und politischem Engagement. Davon zeugen seine Lebenserinnerungen, zahlreiche Aufsätze und Interview-Aussagen sowie sein Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann.
Hans Werner Henze starb im vergangenen Oktober mit 86 Jahren nach einem erfüllten Leben in Dresden, wo zu seinen Ehren eine Aufführungsreihe begonnen wurde. – Zuletzt soll Henze selbst zu Wort kommen, mit dem Abschluss eines Interviews, das Holger Noltze Anfang 2009 für DIE ZEIT mit ihm führte:

Noltze: Ich möchte Sie noch zu einem Detail aus Ihrer Phaedra befragen. Als Phaedra sich umbringen will, hört man Aphrodite, die Liebesgöttin, singen: «Hab Geduld mit dem Tod.» Und dazu komponieren Sie eine melodische Aufwärtsbewegung, die man als Zitat ganz gut dechiffrieren kann: Sie stammt aus Bachs «O Ewigkeit, du Donnerwort». Es ist ebenjenes «Es ist genug!», das auch Berg in seinem Violinkonzert zitiert. Unterläuft Ihnen so etwas, oder ist das ein bewusstes Setzen? Ein Herüberwinken von Hans Werner Henze zu Johann Sebastian Bach und Alban Berg?
Henze: Ich würde mir nicht erlauben, diesen großen Meistern einfach zuzuwinken. Aber die Beschäftigung Alban Bergs mit der Klassik und der Vorklassik ist ein gutes Beispiel für die Tätigkeit eines künstlerischen Menschen, der sich nicht nur mit dem Heute, sondern auch mit der Vergangenheit beschäftigt und sie benötigt, um zu bestimmten ausdrucksmäßigen Faktoren zu kommen.
Noltze:Was bedeutet der Satz «Hab Geduld mit dem Tod», den Aphrodite da singt?
Henze: Ich glaube, es ist eine Aufforderung zum Gleichmut vor etwas Unverschiebbarem, Unvermeidlichem.
Noltze: Sind Sie gleichmütig, was den Tod angeht?
Henze: Ja.



(Foto: Henze | Schott Music, Peter Andersen)