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Benjamin Britten

Mahnung und Versöhnung

von Thomas Neuerer

Nr 169 | Januar 2014

2014 jährt sich zum hundertsten Mal der Beginn des I. Weltkriegs. Anlass auf ein musikalisches Werk der Mahnung und Versöhnung hinzuweisen: War Requiem. Geschrieben vom englischen Kompo­nisten Benjamin Britten, 1913 geboren, zur Eröffnung der neuen Kathedrale von Coventry. Der mittelalterliche Vorgängerbau wurde 1940, im II. Weltkrieg, durch einen deutschen Luftangriff zerstört.
Nicht zu unterschätzen ist im Umfeld der Entstehung von Brittens Werk die angespannte Weltlage Anfang der 1960er Jahre – es bestand durchaus die Gefahr, dass aus dem «kalten» ein «heißer Krieg» würde. Und Britten war ein Komponist mit wachem politischem Bewusstsein. – Für die Uraufführung von Brittens War Requiem hatte das zur Konsequenz, dass die von ihm favorisierte russische Solistin seinerzeit Ausreiseverbot erhielt.
Benjamin Britten kontrastiert im War Requiem den Text der lateinischen Totenmesse mit Gedichten Wilfred Owens, der Grauen und Sinnlosigkeit des Kriegs in anrührende Verse fasste.
Wilfred Owen schrieb aus eigenem Erleben als englischer Soldat während des I. Weltkriegs. Den Krieg überlebte er nicht, er fiel 1918, eine Woche vor Waffenstillstand, im Alter von 25 Jahren. (Eine kurze, eindrückliche Lebensbeschreibung ist bei Wikipedia zu lesen.)
Musikalisch klingen bei Britten Elemente mittelalterlicher Choral­kunst, Anspielungen auf Verdis Messa da Requiem, bis hin zu Passagen freier Tonalität an. Britten bedient sich dabei in der Kombination von Musik und Text u.a. einer Montagetechnik; eine Stelle aus dem Offertorium sei hierzu angeführt:
Dem lateinischen Text «... Quam olim Abrahae promisisti et semini ejus» stellt Britten folgende Verse Owens gegenüber: «When lo! an angel called him (...), Lay not thy hand upon the lad, neither do anything to him. (...) But the old man would not so, but slew his son, – and half the seed of Europe, one by one.»
Britten lässt die Schlussphrase des Gedichts immer wieder abrupt abbrechen und den lateinische Opfergesang des Knabenchors leise erklingt – mit erschütternder Wirkung.
An diesem kleinen Beispiel mag auch deutlich werden, dass Britten unter den Komponisten im Großbritannien dieser Zeit eine Sonder­stellung einnimmt: Er ist quasi ein Modernist in konservativem Umfeld. Brittens Modernität ist dabei aber nicht an der Avantgarde des Kontinents zu messen. Seine Musiksprache bleibt zugänglich und bedient sich moderner stilistischer Mittel nie um ihrer selbst willen.

Anlässlich des 100. Geburtstags von Benjamin Britten wurde bei DECCA die höchst empfehlenswerte Aufnahme des War Requiem anhand der alten Bänder neu abgemischt, die Britten 1963 selbst – in seiner Wunschbesetzung – leitete. Die Aufnahme ist künstlerisch wie technisch ein Markstein der Tonträgergeschichte (DECCA war Pionier der Stereophonie). Dem wird Nachdruck verliehen durch die enorme Breite des stereophonen Spektrums samt räumlicher Tiefe (der Knabenchor erklingt von fern wie Engelsstimmen).
Die Expressivität dieser Interpretation ist bis heute unerreicht, was dem akribischen Gestaltungswillen des dirigierenden Komponisten, aber auch den außerordentlichen Leistungen der Interpreten zu verdanken ist. Als Solisten sind zu hören: Galina Wischnewskaja (Sopran), Peter Pears (Tenor) und Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton), den gemischten Chor bilden der Bach Choir sowie der Chor des London Symphony Orchestra, es singen die Knaben des Highgate School Choir, Organist ist Simon Preston, es spielt das London Symphony Orchestra.


«My subject is war, and the pity of war. The Poetry is in the pity» Wilfred Owen*