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Thomas Neuerer

Beethoven neu entdecken

Nr 181 | Januar 2015

«Wo Genie, Kunst, Natur, Wahrheit, Geist, Originalität, Erfindung, Ausführung, Geschmack, Kraft, Feuer, Phantasie, Lieblichkeit, tiefes Gefühl und munterer Scherz in schwesterlicher Eintracht sich umschlingen: da muss man mit dem Dichter ausrufen: ‹Omne tulit Punctum›.» – So schrieb 1829 der Rezensent des Allgemeinen Musikalischen Anzeigers, Wien, in einer posthumen Würdigung von Beethovens Erzherzog-Trio.
Auf uns Heutige mag der von romantischem Geist geprägte Überschwang leicht befremdlich wirken. Allerdings machen die Attribute deutlich, welche enorme Wertschätzung diesem Kammer­musikwerk Beethovens zukam. Doch bereits mit seinem Opus 1 führt der Komponist die Gattung des Klaviertrios auf ein bis dahin ungekanntes Niveau, indem er alle drei Instrumente gleichberechtigt behandelt. Bis zu Beethoven wurden Klavier und Cello als Generalbass-Einheit aufgefasst. Die technische Weiterentwicklung des Klaviers vom Cembalo mit gezupften Saiten hin zum Hammer­klavier mit geschlagenen Saiten begünstigte den Fortschritt.
Eine soeben begonnene Gesamteinspielung des Werkzyklus’ durch das Schweizer Klaviertrio / Swiss Piano Trio (Angela Golubeva, Violine; Sébastien Singer, Cello; Martin Lucas Staub, Klavier) bietet Ge­legen­heit, die Trios in einer aktuellen Inter­pretation kennenzulernen.
Gepaart ist auf dem ersten Album der Reihe das im Jahr 1811 entstandene Erzherzog-Trio op. 97 mit Beethovens Erstling op. 1, Nr. 1 (das erste von dreien, die 1795 im Druck erschienen).
Anhand solch einer Werkzusammenstellung lässt sich nachvoll­ziehen, wie die Schweizer die Werke vor ihrem jeweiligen Zeit­horizont darstellen: Das Opus 1 steht also noch in Nach­barschaft zu Werken Haydns und Mozarts dieser Gattung, während das Opus 97 – aus der Zeit, als Beethoven an seiner 7. Symphonie und dem 5. Klavierkonzert arbeitete –, Vorbote der Romantik ist.
Tatsächlich erfüllen die drei Interpreten mit diesem ersten Album des Zyklus’ ihren Anspruch, die Werke ihrer Zeit gemäß zu spielen. Das erste Trio erklingt schlank und klassi­zistisch; das zweite ausgesprochen voluminös und zeigt sich in fast symphonischer Klangpracht.
Beethovens Faktur mit langsamen Sätzen von wunderbar lyrischer Ausdruckskraft und schnellen voller Witz und Esprit wird vom Schweizer Klaviertrio auf besonders schöne Weise realisiert. Es ist ein herrlich homogenes Ensemblespiel zu hören, ebenso solistische Passagen, in denen die Individualitäten der Musiker zu ihrem Recht kommen. Da gibt es angenehm intime Momente und solche von starker Klanggebärde. Schönheit, Esprit, Feinsinn, aber auch emotionale Wechselbäder sind zu erleben.
Beethoven hat dies so angelegt, doch zum vollendeten Hör­erlebnis kann es nur werden, wenn Musiker wie jene des Schweizer Klaviertrio sich ans Werk machen.
Die Aufnahmen sind auch technisch von delikater Schönheit: ausgesprochen transparent, dabei mit einem warmen und voluminösen Klangbild und in angenehmer Räumlichkeit.
Bislang waren mir Beethovens Klaviertrios eher Rand­phäno­mene der Kammermusik – dank der Interpretationen des Schweizer Klaviertrio ordne ich mein «Beethoven-Weltbild» neu. Nach dem Erstling der bei Audite begonnenen und auf fünf CDs angelegten Werkreihe darf man die weiteren Aufnahmen gespannt und mit Vorfreude erwarten.