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Erich Jooß (Text) & Maren Briswalter (Illustration)

Rübezahl

Nr 198 | Juni 2016

gelesen von Simone Lambert

«Rübezahl» ist ein Begriff, auch wenn nicht jeder die umfangreichen Legenden um den Geist des Riesengebirges kennt. Erich Jooß erzählt Episoden daraus und Maren Briswalter hat die Geschichten mit weichem Strich und Liebe zur Landschaft illustriert.
Rübezahl ist ein rothaariger Riese, ein Gnom, Dämon, Schrat – und Herr des Riesengebirges. Der widersprüchliche Charakter, Herr über Wetter und Stürme, ist launisch, listig, hilfsbereit und mitunter überraschend mitfühlend. Er ist Schatzhüter, Zauberer und Verwandlungskünstler, und Schutzpatron der Heilpflanzensammler: Er würde Kräuter mit besonderer Heilkraft versehen.
Rübezahl treibt manchen Schabernack mit den Bewohnern und Wanderern im Riesengebirge, führt sie in die Irre oder narrt sie, indem er sich verwandelt. Zugleich ist er gütig gegen menschliche Einfalt und Dummheit – so macht er den gold­suchenden Korbmacher reich. Rübezahls Gelächter schallt durch den Wald und erschreckt die Menschen. Sie zollen ihm furchtsam Respekt. Zugleich verspotten sie ihn mit diesem hässlichen Namen. Rübezahl rächt sich, wenn er es hört. Doch immer wieder sucht er die Nähe der Menschen, denn sie interessieren ihn. Er, als der Mächtigere, scheut sich nicht, unerkannt niedere Dienste als Knecht zu leisten und zu studieren, wie Menschen so sind: gierig, eingebildet, geizig, aber auch tüchtig, bescheiden und dankbar. Er betreibt eine Menschenkunde, weil ihn Menschen und ihre Leistungen faszinieren, aber er wird auch von ihnen verprellt und abgestoßen. Dem Doktor Klapperbein, dem er als Holzknecht getarnt bei Streifzügen durchs Gebirge Heilpflanzen zeigt, der sich aber hochmütig und ignorant verhält, erteilt er eine Lektion. Ein reicher Wirt geizt mit der Bezahlung, als Brennholz gehackt werden soll, so dass nur ein altes, rothaariges Männlein bereit ist, diese Arbeit zu verrichten. Mit einer List nimmt Rübezahl (der das Holz mit seinem eigenen Bein hackt – ein gruseliges Bild, das den Schrecken symbolisiert, der von dieser mächtigen Gestalt ausgeht) dem Wirt alles Holz ab, das dieser besitzt, und schenkt es einem armen Weber, dessen Familie nun im Winter nicht frieren muss.
Rübezahl weiß, was zählt. Ihm geht es nicht um die Reichtümer, die er besitzt. Mitunter verschenkt er sie geradezu verschwenderisch. Rübezahl ist albern und verspielt, aber hat ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und zwingt Menschen durch sein Handeln und durch seine überlegene Kraft dazu, ehrlich zu sein. Eines Tages verschwindet er im Berg, wütend und resigniert darüber, was die Menschen mit seinen Wäldern anrichten. Dort hütet er die unterirdischen Schätze ebenso wie das Feuer im Erdinneren.
Unter Maren Briswalters Hand entstanden romantische Landschaftsbilder und Szenen, die genau beobachten und die mystischen, geheimnisvollen und dramatischen Momente zu fassen wissen. Die transparenten Aquarelltöne stehen im Kontrast zu der ungeschlachten Gestalt des Rübezahl, aber sie vermitteln auch den Zauber, der diese Sagengestalt umweht. Briswalters Zeichnungen zeigen die weite, rauhe Schönheit des Riesen-­ge­birges; meisterhaft gibt sie Wetter, Luft – und die Atmosphäre wieder. Selbst derbe Szenen werden durch die heiter-melancholische Stimmung abgemildert: Menschen machen Fehler, und Riesen sind unerwartet zarte Kreaturen. Ein schönes Buch über ein rätselhaftes Wesen.