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Birte Müller

Filztherapie

Nr 232 | April 2019

Ich bin nicht so der «Shopping-Typ», aber in einem Laden mit hochwertigem Künstler­material, Papieren oder Holzwerkzeugen bekomme ich ein Kribbeln im Bauch. Allerdings kenne ich mich gut genug – es hemmt mich später beim Arbeiten, wenn mein Material zu teuer war. Ich spare tat­sächlich noch immer die viel zu teuren Ölfarben und Leinwände aus meiner Studien­zeit auf. Stattdessen habe ich auf zusammengenagelte Holzplanken vom Sperrmüll den Stoff des kaputten Nordlandzeltes meiner Eltern gespannt und als Farben Pigmente mit Ei angerührt, wild gemischt mit billig auf dem Flohmarkt erworbenen Farbresten aller Art.
Ich kann einfach am freiesten arbeiten, wenn ich die Werkstoffe irgendwie recycle. Aber natürlich kann man nicht alles finden, manches muss einfach gekauft werden. Und wenn ich schon kaufe, dann übertreibe ich es auch schnell – ich LIEBE es zum Bei­spiel, hoch­wertiges Werkzeug anzuschaffen, auch bei Klebern greife ich immer zu teuren Qualitätsprodukten und niemals zur kleineren Packung!
Auf die Idee zu filzen sind meine Tochter Olivia und ich auch durch einen Zufallsfund gekommen: Olivia sammelte während eines Urlaubs an der Nordsee stundenlang am Deich vom Stacheldrahtzaum, die Schafwolle ab. Und nun? Wir besuchten dann zu Hause einen Nachmittag lang einen Filzkurs und waren sofort Feuer und Flamme für den neuen Werkstoff. In kleinen Mengen ist Filzwolle leider sehr teuer – nicht aber in großen! Ich bestellte einen gigantischen Karton mit Wolle in den verschiedensten Tönen. Schon das Auspacken machte uns sehr glücklich, obwohl ich mich für den maßlosen Einkauf innerlich schimpfte.
Zum Ende des Jahres fühlte ich eine große Erschöpfung auf mich zurollen, die ich von einer Depression her kannte. Ich machte mir in dieser Zeit große Sorgen, wieder krank zu werden – und um meinen Mann und die Kinder. Als Erstes ging ich also zum Arzt, als Zweites ließ ich in großem Stil meine Arbeit liegen, und als Drittes begann ich zu filzen. Sollte mal jemand eine Studie mit der Hypothese «Filzen therapiebegleitend als hochwirksames Antidepressivum» machen, wird ganz sicher herauskommen, dass das stundenlange Reiben von Schafwolle mit den Handflächen und mithilfe von warmem Seifenwasser die Serotonin­ausschüttung im Gehirn beflügelt.
Zum Frühling hin war übrigens der komplette Wollberg verbraucht und die akute Krise überstanden. Ich überlege, bei der Krankenkasse mal zu fragen, ob ich meine neuen Wollbestellungen vielleicht auf Rezept bekommen kann. Aber lieber nicht – dann macht es sicher nicht mehr so viel Spaß.

Sorgenfresser
Diese und viele weitere Monster habe ich um einen großen runden und mit Luftpolsterfolie umlegten Stein gefilzt. Die meisten Sorgenfresser haben innen eine andere Farbe als außen. Wenn die äußere Schicht mit Armen und Beinen schön fest gefilzt ist, schneide ich das Maul auf, hole vorsichtig den Stein heraus, kremple das Wesen um und filze von innen weiter. Dann wird’s wieder gewendet und alles gut ausgespült. Die Augen habe ich ganz zum Schluss mit der Filznadel gemacht.