Ralf Lilienthal

Hier sind wir!

Nr 149 | Mai 2012

20 Jahre Kick La Luna

Telgte

«Kläng, kläng, kläng.» Die ausdauernden, in Frequenz, Tonhöhe und Lautstärke mit den Werkstücken variierenden Schläge des Schmiedehammers klingen für jedes Ohr anders. Für ein rhythmusbegabtes Kind sind sie wohl musikalische Ursubstanz. Zu­mindest, wenn man die münsterländische Schmiedetochter Anne befragt. «Ich war von klein auf dem Rhythmus verfallen, auch wenn ich das nicht sofort begriffen habe. Flöte, Klavier und Gitarre durfte ich spielen, aber was mich wirklich fasziniert hat, waren die Marschtrommeln und Snares im Spielmannszug.» Ein «Knüppeljunge»? In den Sechzigern war das nichts für Mädchen. «Also bin ich nebenhergelaufen.»
Nach ein paar Schlenkern und scheinbaren Umwegen fand sich Anne Breick, inzwischen assistierende Geschäftsführerin und Reise­­leiterin bei Deutschlands erstem alternativem Reise­veranstalter, eines Abends mit einer Felltrommel in der Hand in einem marok­kanischen Beduinenzelt wieder. «Wir haben die Nacht durchgetrommelt, und es groovte wie wahnsinnig. Ich habe eine so tolle Energie gespürt und gewusst: Das ist meine Berufung!»
Die Jahre danach waren vom Tanz ihrer Passionen bestimmt – Percussion, Unterricht, Organisation, Marketing und Female Networking. Mit sichtbaren Folgen, was etwa die Female Samba Connection, die Trommelreisen nach Kuba oder das Frauen­musikjournal Melodiva bezeugen können. Und irgendwann, wie so oft, wenn Leidenschaft, Ausdauer und Konsequenz zusammenkommen, betrat das eine, alles zusammenfassende und krönende Frankfurter Projekt buchstäblich die Bühne: die Frauenband Kick La Luna.

Aschaffenburg

«Meine frühesten Erinnerungen hatten immer mit Musik zu tun.» Der Opa spielte Geige, die Eltern spielten Klavier. Man sang. Und das Mädchen Ulrike probierte sämtliche erreichbaren Instrumente und musikalischen Ausdrucksformen durch. Warum? «Ich war ein sehr schüchternes Kind. Musik gab mir die Möglichkeit, mich auszudrücken. Nach der Schule habe ich mir immer alles von der Seele gespielt.»
Und weil Musik eine soziale Kunst, ein Weg zu den anderen ist, ergriff der zurückhaltende Teenager jede Gelegenheit zum ge­meinsamen Spielen. Anfangs im Schulchor und -orchester, später mit den angesagten Songs in einer Jugendband. Das Instrument? «Sie brauchten einen Bassisten, also habe ich nach anfänglichem Zögern Bass gespielt.» Und das neue Instrument fühlte sich erstaunlich gut an, der Bassistenpart innerhalb der Band auch. «Ich bin eine, die vom Wesen her nicht gleich nach vorne geht. Und trotzdem – der Bass fällt erst dann auf, wenn er nicht da ist, denn eigentlich hält er alles zusammen.»
Auch in Uli Pfeifers Biographie verschlingen sich drei wiederkehrende Motive: bildende Kunst (mündend in ein Studium in Ottersberg), Musik und soziale Arbeit. Auch sie wechselt im Lauf der Jahrzehnte ohne Bruch von einem zum anderen, immer auf der Suche nach Brückenschlägen. «Mich interessieren die Verbindungen. Zwischen den Künsten, zwischen den Menschen, zwischen den Kulturen.» Immer geleitet von einer innerlich-untrüglichen Navigation, die sie eines Tages auch vom Posten einer Hausmeisterin im fernen Spanien geradewegs nach Frank­furt und zu Annes Frauenbandaktivitäten führte.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

Groß-Umstadt

Über Musikinstrumente stolperten Elke und ihre drei Schwestern zuhause nicht gerade. «Ich bin auf dem Dorf geboren, meine Eltern waren Kleinbauern. Das hieß: Schule, Hausaufgaben, Feldarbeit. Für musikalische Bildung war schlicht keine Zeit. Aber gesungen haben wir!» Und auf dem Traktor, dessen bullernder Diesel das Orchester ersetzte, gelegentlich auch gegrölt. «Durch das Singen habe ich so viel Emotionen ablassen können!» Und durch ihre eigenen Texte bekamen die Gefühle Rahmen und Richtung.
«Ich tanze aus der Reihe.» Was in einem ihrer populärsten Songs kraftvoll und leicht klingt, hat sich das hessische Mädchen Schritt für Schritt hart erarbeitet: Realschule. Die Industrie­schneider­lehre. Mit Aktion Sühnezeichen eineinhalb Jahre in England.
Die ersten Gitarrenakkorde. Joan Baez: «How many roads …». «Gracias a la vida». Brecht-Lieder in der Kabarettgruppe. Ein Studium der Sozialen Arbeit. Und immer mehr Rampenlicht-Öffentlichkeit. «Meine kraftvolle Stimme gefiel den Leuten, sie wurden auf mich aufmerksam, aber anfangs konnte ich das kaum ertragen!»
Elke Voltz ist vom ersten Tag an Singer-Songwriter. Coverstücke? Sicher, warum nicht. Aber was für sie wirklich zählt, ist «Inspiration. Ich will mich ausdrücken, die Dinge benennen, etwas bewirken – da draußen in der Welt und in meinem Leben.»
Wie sie Sängerin der noch ungeborenen «Kicks» wurde? Natürlich durch einen Song. Der hieß «I am, what I am» und fand seinen Weg durch das offene Fenster des Seminargebäudes direkt ins Ohr der gerade in den Schlaf wegdämmernden Anne. «Ich dachte, das wär’ ’ne Platte. Nee, das war live, da musste ich runter!»

Frankfurt und so

Irgendwann also – genauer gesagt vor 20 Jahren – war sie da. Die Band. Drei Frauen. Eigentlich vier, denn Jutta Keller, Pfälzer Gitarristin, kam für 14 Jahre dazu und baute die «Kicks» mit auf.
Wie wird eine Band? Die «Liebe auf den ersten Ton» ist eine gute Voraussetzung. Auch einsperren ist nicht verkehrt. Isolieren – oder besser gesagt: konzentrieren. Im «kleinsten Proberaum der Welt». Dort haben sie viel «geschwätzt», herumprobiert. Haben ihre Stärken in die Waagschale geworfen. «Annes Rhythmusliebe». «Elkes aussagekräftigen Texte». «Ulis Strukturiertheit». «Juttas Harmoniesätze». Haben sich aneinander abgeschliffen, ohne die Unterschiede gleichzumachen. Haben viel voneinander gelernt. Und auf das keimhaft-zarte Wesen «Band» gelauscht, das mehr ist als die Summe der Drei oder Vier, die unter seinem Namen versammelt sind.
Der Name selbst ist in der Kneipe entstanden. Spanisch sollte er klingen, schließlich spielten sie viele Latin Songs. Aber – daher «Kick» - auch Soul und Funk und Pop. Und von wegen Frauenband, was gäbe es Weiblicheres als den spanischen Mond?
Lange haben sich die «Kicks» in ihrem Frankfurter Musik-Tank allerdings nicht eingekerkert. «Nach wenigen Wochen standen wir bereits auf einer Riesenbühne. Vor uns eine zwölfköpfige Funk-Coverband, nach uns eine Salsa-Truppe und dazwischen wir kleinen Kick La Lunas. Wir waren das unerwartete Exotikum mit eigenem Konzept, haben so viel Freude rübergebracht und die Leute fanden uns gut. Also haben wir weitergemacht, bis heute!»
Proberaum, Bühne, Studio und dazwischen immer die jeweils eigenen Sachen, auch, aber nicht nur, um das zum Leben nötige Kleingeld einzufahren. Gegen die große Karriere hätten sie sicherlich nichts einzuwenden gehabt, aber anpassen an die Wünsche und Vorgaben der «big Labels», das ging gar nicht. «Wir hatten nicht das Ziel, berühmt zu werden. Unser Profil gab das auch gar nicht her, weil wir machen wollten, wie wir es gemacht haben.»
Sie wollten, auch wenn sich das nicht sauber vermarkten ließ, ihre ganz eigene Mischung spielen. Afrolatinsoulfunkpopundso. Alles in allem Ethnomusik. Mal ein neuseeländisches Maoristück, mal ein Lied der Amazonasindianer. Fundstücke, wie sie immer wieder auf der lebenslangen Klangreise der «Kicks» eingesammelt wurden. Doch egal, was die Band neben den zumeist eigenen Kompositionen spielt, sie «interpretieren es auf ihre eigene Weise».
Aber die vier Frauen wollten noch etwas, das über die Musik hinausgeht und kaum in Worte zu fassen ist. Sie wollten die Band um der Band willen. Die «Offenheit für den Prozess». Das «Ringen um den gemeinsamen Ausdruck». Die «Spannung der Verschiedenheit». Die «Lebensschule». Etwas, das sich hinter lauter Fragen versteckt: Worum geht es im Leben? Was wollen wir in Musik ausdrücken? Wie findet man etwas Neues? Wie erreicht man immer wieder Lebensfreude und Energie?
Wenn man den Gedanken und Beobachtungen der «Kicks» folgt, lüftet sich der Schleier der Popkultur-Illusionen ein wenig.
Sicher geht es um die Songs, die Botschaften, die Emotionen, den Kontakt nach draußen, den Erfolg. Von innen gesehen ist eine Band aber vor allem ein «soziales Experiment». Und wenn das gelingt, dann fühlt es sich auch von außen wahr, gut und vor allem schön an.

Überall

Und es zieht seine Zuhörer und Zuschauer in den Bann. Vor Tausenden – in Paris, Amsterdam, Montreal oder Krakau. Vor ein paar hundert – in Bad Herrenalb, Freiburg oder Halle an der Saale.
Auch in Groß-Bieberau, beim hessischen Heimspiel, wo man die «Kicks» kennt und weiß, dass gute Laune angesagt ist, und wo spätes­tens bei ihrem Frauen-WM-Song «Wir sind hier» die Hütte kocht. «Am Anfang haben wir auf der Bühne gestanden wie die Ölgötzen.» Heute nicht mehr. Da sind zwanzig Jahre Bühnen­routine – und jede Menge Erfahrung. Und immer haben die Fünf dort oben ihren unbändigen Spaß.

Fünf? Kick La Luna heute, das sind: Elke Voltz, die temperamentvolle Frontfrau mit der bluesigen Stimme. Uli Pfeifer, die coole Bassistin mit den lässig-perfekten Sololäufen. Anne Breick, die besessene Percussionistin mit dem Talent für Show und Komik und …

Brasilien

Seit immerhin sechs Jahren ist da auch Zélia Fonseca aus Heidel­berg! Längst eine tragende Säule der «Kicks». Die den afro­brasilianischen Congado ihrer Heimatprovinz Minas Gerais in jede Pore aufgesogen hat. Zusammen mit Rosanna über viele Jahre ein Star der Worldmusicszene. Gitarristin. Witzig, unkonventionell, vollkommen souverän. Eine, die man aus dem Tiefschlaf auf die Bühne stellen kann und die im gleichen Moment mittendrin ist. Die dem Kick La Luna-Soundgewebe mit leichter Hand neue, starke Fäden eingezogen hat. Die mit einem Blick die Bühne zu­sammen­greifen kann, oder mit geschlossenen Augen. – Und schließlich ist da noch Angela Frontera, ebenfalls Brasilianerin! Gast-Drummerin mit Dauer-Abo. Zierlich. Hellwach. Ein Energie­bündel. Die auf ihren Drums einen Wirbelwind herbeiruft, der den Groß-Bieberauern reihenweise Mundsperre verschafft und wahrscheinlich selbst Tote zum Leben erwecken kann.

Kick La Luna live, das ist …? Wie nennt man das Aufgehen im Moment? Jenen Zustand, den man nicht wollen, sondern nur tun kann? Flow!