Was hier wir sind

Nr 168 | Dezember 2013

«Kommen und Gehen war für die Küstenbewohner immer schon das große Thema», schreibt Claus-Peter Lieckfeld in seinem schönen Beitrag über das große Hin-und-weg des Watts und seine Wunder. Dem Gehen eines Anderen, des Dichters Friedrich Hölderlin, ging Thomas Knubben nach und erwanderte sich 1.470 Kilometer Erfahrung eines Schicksals, das uns ob seiner rätselhaften Signatur immer wieder schmerzlich berührt.
Ziemlich genau die Hälfte seines Lebens verbrachte Hölderlin im Tübinger Turm in der Pflege des Schreinermeisters Zimmer und seiner Frau Charlotte. Es war die Zeit seines zweiten Mondknotens, seines siebenunddreißigsten/ achtunddreißigsten Lebensjahres, das oft genug in einer menschlichen Biografie Umbrüche einläutet, als Hölderlin nach Tübingen gebracht wurde. Danach erwanderte er sich das Leben für weitere siebenunddreißig Jahre nur noch vom Turm aus in den geheimnisvollen Kammern seines Geistes.
An einem 19. April 1812 schreibt der Schreiner Ernst Zimmer an die Mutter des Dichters folgende berührende Worte:
«sein dichterischer Geist zeigt Sich noch immer thätig, so sah Er bey mir eine Zeichnung von einem Tempel Er sagte mir ich sollte einen von Holz so machen, ich versetze Ihm drauf dass ich von Brod arbeiten müsste, Ich sey nicht glücklich so in Philosofischer ruhe zu leben wie Er, gleich versetze Er, Ach ich bin doch ein armer Mensch, und in der nehmlichen Minute schrieb Er mir folgenden Vers mit Bleistift auf ein Brett

Die Linien des Lebens sind Verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.
Was Hir wir sind, kan dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.»



Für viele von uns drückt sich in diesem Vierzeiler des «umnachteten» Dichters Friedrich Hölderlin eine Einsicht aus, die wir uns noch auf langen Wegen erwandern müssen. Mögen uns die Wochen des Dezembers eine Zeit des Advents werden, eine Zeit kommender Einsicht in die Wege unseres Gehens.

Von Herzen grüßt Ihr

Jean-Claude Lin