Guildo Horn im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Die andere Seite

Nr 133 | Januar 2011

Irgendwie kennt ihn jeder, den Musiker und Entertainer Guildo Horn. 1998 vertrat er Deutschland beim Grand Prix d’Eurovision de la Chanson, errang einen beachtlichen siebten Platz und taucht mit schrillem Outfit und eingängigen Songs weiter regelmäßig im Unterhaltungsbereich auf. Auch eine Autobiographie hat er verfasst, Doppel-Ich. Die andere Seite des Horst Köhler.
Und zu der einen, aber auch zu der anderen Seite des Guildo Horn alias Horst Köhler gehört sein Bezug zu geistig behinderten Menschen. Was während eines sozialen Jahres bei der Lebenshilfe Trier begann, setzte sich in seiner Arbeit als Diplom-Pädagoge und Musiktherapeut fort. Die Zusammenarbeit mit geistig Behinderten begleitet ihn aber auch bei seiner Musikerkarriere und führte zu der 2006 preisgekrönten SWR-Talkshow Guildo und seine Gäste, in deren Mittel­punkt Menschen mit geistiger Behinderung standen. Als Sänger und Entertainer steht Guildo Horn weiter mit seiner Band, den Orthopädischen Strümpfen, auf der Bühne, wirkt in Musicals, Operetten und Opern mit und feiert mit 20 Jahre Zärtlichkeit (so der Titel der neuen CD) zwanzig Jahre Guildo Horn.

Doris Kleinau-Metzler | Herr Horn, in einer NDR-Fernseh-Talkshow sagten Sie: «Über Menschen mache ich mir grundsätzlich nie aus Medien ein Bild.» Wie kommen Sie zu dieser Ansicht?

Guildo Horn | In 20 Jahren Horn habe ich einfach zu viel erlebt: Neben Fotos, die aus einem bestimmten Anlass gemacht werden, stehen irgendwann Geschichten über dich, die überhaupt nichts mehr mit dir und deinem Leben zu tun haben – als ob das Leben neu geschrieben würde; was stimmt, sind dann nur noch Bild und Name. Natürlich braucht man Medien, aber man sollte sie teil­weise eher wie ein Musical sehen, als Lieferant von unterhaltsamen Geschichten. Deshalb habe ich mir im Lauf meiner Karriere angewöhnt, in bestimmten Interviews nur noch Operette zu reden und mein Privatleben herauszuhalten. Das geht auch niemand was an, und ich glaube, als Kunstfigur biete ich genug Berichtenswertes. Horn ist ein Klischee, eine Spielfläche, eine Rolle, auch wenn der Übergang zu Horst Köhler sicher manchmal fließend ist.

DKM | Sie bedienen mit Ihrer Rolle als Guildo Horn also be­wusst ein Unterhaltungsbedürfnis?

GH | Ja, das brauchen wir doch alle, auch Geschichten und Personen dazu – so wie früher in Märchen. Heute spielen sich Geschichten eben rund um den Fußball und seine Stars ab, in Daily Soaps, Talk-Shows usw. – immer geht es um Menschen mit ihren Höhen und Tiefen. Dazu liefere ich auch Stoff, da darf zudem befreit gelacht werden. Wenn Leute immer ernst ge­nommen werden wollen, ist das peinlich; wenn Menschen lachen, sich fallen lassen können, ist das schön.

DKM | Ja, jeder lacht eigentlich gern. Muss man für Humor be­sonders begabt sein?

GH | Nein, überhaupt nicht. Ich bin vielleicht ein eher ernster Mensch, aber nach einigen Jahren als Pädagoge im Bereich der Behindertenhilfe ist mir deutlich geworden, dass ich mit Humor und Musik etwas machen kann, das einfach gut funktioniert: Wenn wir zusammen musiziert haben, hat das alle total be­geistert; die Behinderten machen mit großer Hingabe Musik, mit Herz und Seele. Und ich konnte mich so auf die Sache einlassen, mich puschen, dass andere Menschen angesteckt wurden. Noch heute erlebe ich meine Arbeit auf der Bühne wie eine Art «Auszeit» aus dem alltäglichen Leben. Stress und Probleme spielen für mich in dem Moment keine Rolle, ich bin wie in einem freien und zugleich geschützten Raum.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

DKM | Wie sind Sie eigentlich zu den Kontakten mit geistig Be­hinderten gekommen? Im Allgemeinen ist dieser Bereich ziem­lich isoliert.

GH | Meine Mutter hat jahrzehntelang als Fahrerin für Behin­derten­werkstätten gearbeitet, sie zu ihren Werkstätten und zurück gebracht. Das war schon als Kind etwas ganz Normales für mich, und als ich alt genug war, habe ich auch mal als Begleitperson ausgeholfen.

DKM | Nicht jeder Mensch kommt von solchen Erfahrungen zu einem lebenslangen Interesse an Behinderten.

GH | Sicher kommt bei mir mehreres zusammen: Ich mag Leute, die irgendwie «echt» sind. Ich komme eher aus einfachen Verhältnissen; da war es nicht üblich, dass sich die Menschen verstellten (wenn man dagegen in einer gewissen Position ist, muss man etwas darstellen, etwas sein, was dem Anschein entspricht). Bei Behinderten ist es meistens so, dass sie schon aufgrund ihres Wesens oft nicht dazu in der Lage sind, sich zu verstellen, oder es ist so offensichtlich, dass man es sofort bemerkt. Das ist mir total sympathisch. Leute, die offen und ehrlich sind, ermöglichen mir, auch offen zu sein. Außerdem lache ich gern – und ich habe selten so viel gelacht wie bei der Lebenshilfe, weil die Leute da auch gerne lustig sind. Wir «Normale» machen uns ja ständig existenzielle Gedanken um Arbeit, Geld, Zukunft usw. Daraus entstehen Planspiele im Kopf, die uns blockieren.

DKM | In Ihrem Buch nennen Sie die geistig Behinderten auch einmal «die außerirdisch Irdischen» – also eigentlich besonders begabte Menschen ...

GH | Sie sind einfach, wie sie sind. Wie ich auch bei meiner Arbeit zu der Talkshow Guildo und seine Gäste erlebt habe: Mit einem Behinderten von Atelier Goldstein in Frankfurt (wo geistig be­hinderte Künstlerinnen und Künstler unter professionellen Bedingungen arbeiten können) war ich nachts unterm Sternen­himmel auf der Terrasse unseres Hotels in Baden-Baden. Wir sind dann auf dem Boden herumgerutscht, er hat die Fliesen abgeklopft und geflüstert: «Oh, diese Töne ...» Er war begeistert von den unterschiedlichen Klängen, die sich im Mikro-Hörbereich abspielen. Ich habe auch manche Töne neu gehört, mich total wohlgefühlt. Es ist doch toll, einfach durch andere Menschen auf neue Idee zu kommen. Letztlich hat es viel mit der Qualität des Lebens zu tun. Dagegen finde ich das, was unsere offiziellen Werte bestimmt, das vermeintlich Vernünftige, ziemlich überholt. Das Zusammenleben von Menschen auf gesellschaftlicher Ebene kann doch nicht nur ökonomisch geprägt sein, das muss auch eine emotionale Qualität haben.

DKM | Also die Behinderten als Wachrüttler für uns?

GH | Ja. Dazu gehört auch, dass wir von ihnen lernen können, alle Vorstellungen, wie was zu sein hat, loszulassen. Auch deshalb ist es gut, wenn Behinderte ganz normal zum Umfeld, zur Gesellschaft gehören. Für mich ist Integration nicht eine karitative Sache aus Mitleid, sondern wir tun uns selbst etwas Gutes damit. Deshalb: Lasst die Menschen, die nicht sind wie wir, mehr teilhalben, schaut genau hin und lernt von ihnen, was möglich ist. Aber natürlich idealisiere ich deshalb nicht alle geistig Behinderten, auch da gibt es nicht nur sympathische Menschen, sondern manchmal richtige Ekel ... Jedenfalls hat das Zusammensein mit diesen Leuten für mich etwas Entspanntes. Im Sommer 2010 habe ich für den MDR eine Dokumentation gedreht, Guildo Horn auf der Suche nach dem Glück: Was braucht der Mensch, um glücklich zu sein? Erst habe ich Fachleute interviewt, Soziologen, Psychologen, dann habe ich mir zu den verschiedenen Bereichen meine praktischen Glücks­experten im Leben gesucht, mal Menschen mit Lernschwäche, mal geistig Behinderte, die uns erklärten, was sie brauchen, um glücklich zu sein. Außerdem bin ich dabei, eine Internetplattform nach dem Vorbild des «people interview project» von David Lynch in den USA einzurichten: Er reist durch Amerika und filmt und inter­viewt in fünf Minuten ganz normale Menschen, die sonst nie in Filmen vorkommen. Das möchte ich hier mit geistig Behinderten und anderen Menschen machen.

DKM | Damit erübrigt sich die Frage, ob Sie auch mit den neuen Medien arbeiten. Dagegen erscheint der Begriff «Schlager», zu dem Sie sich bekennen, fast von gestern. Wer hört heute noch Schlager? Was ist überhaupt ein Schlager?

GH | Also eigentlich hören alle Schlager. Der Begriff Schlager stammt aus dem Operettenbereich und tauchte 1884 in der Wiener Zeitung als Begriff für eine «zündende» Operettenmelodie auf. Damit ist eine eingängige Melodie gemeint, die man leicht mitsingen kann. Der Text ist – passend dazu – eher profan. In Deutschland stehen Tony Marshall, Graham Bonney und Michael Holm für verschiedene Einflüsse des Schlagers in den 70er Jahren. Für mich singen auch Ich & Ich, die Toten Hosen, Lena Meyer-Landrut und andere Schlager, eben eingängige Songs, auch wenn sie selbst das vielleicht anders bezeichnen würden. Schlager gelten eben als nicht so cool ... Inzwischen hat die Studio-Produktionstechnik da vieles ziemlich vereinheitlicht, formatiert nach einem bestimmten Muster, das sich zum «Party-Machen» eignen soll. Aber für mich selbst ist weiter die handgemachte Musik entscheidend, das heißt, echte Musiker, die ihre Instrumente super beherrschen,
spielen live auf der Bühne. Die Orthopädischen Strümpfe bieten auf der Bühne eine Art Patchwork an – von Schlagermelodien der 50er Jahre bis heute, dazu Rock, Jazz, Punk, Funk, Werbesongs. Das miteinander zu mischen macht einfach Spaß! Warum muss Musik immer unterteilt werden?

DKM | Ist das Alter für Sie auch ein Thema?

GH | Klar mache ich mir darüber Gedanken. Und natürlich merke ich inzwischen auch mein Alter, wenn ich nach einer exzessiven Show von der Bühne komme und völlig ausgelaugt bin. Aber ich sehe immer wieder, wie viel Kraft das ausstrahlen kann, wenn auch ältere Menschen auf der Bühne stehen und einfach gut sind. Für mich gehört zur Arbeit als Musiker vor allem viel Disziplin. Ich bin immer gut vorbereitet und sehr fleißig – sonst würde ich das nicht schon so lange machen. Auch in der Band gibt es klare Regeln. Ich bin zudem ein großer Freund des kategorischen Imperativ, denn ich möchte mich gerne ausdehnen können mit all meiner Kreativität und Lebensfreude – aber mein Gegenüber wenigstmöglich schädigen oder einschränken.

DKM | Gibt es besondere Wünsche oder Pläne für Sie als Entertainer?

GH | Ich würde gerne wieder etwas mit geistig Behinderten fürs deutsche Fernsehen arbeiten – gute Konzepte dafür sind vorhanden. Im schwedischen Fernsehen gibt es eine interessante preisgekrönte Sendung dazu, in der Schweiz gibt es eine sechsteilige Sendung, in der gefilmt wird, wie geistig Behinderte an einem Kiosk im Schwimmbad arbeiten und was sie da erleben. Unterhaltsam und er­folgreich. Aber ich würde auch gerne eine echte unterhaltsame und informative Seniorensendung machen, denn alte Menschen, die vielleicht in zehn bis fünfzehn Jahren nicht mehr leben, können uns noch viel erzählen. Mit alten Menschen für eine Sendereihe arbeiten, sie authentisch lassen ohne plumpe Witze und Klischees, das könnte einfach ein Geschenk für uns alle sein, das sie uns jetzt geben.