Frank Berger

Auch das Fremde gehört zu uns

Nr 134 | Februar 2011

Alle Jahre wieder bricht in der Vor-Osterzeit der Karneval aus. Wer sich die Mühe macht, sich beispielsweise bei Wikipedia über die Herkunft dieses Spektakels zu informieren, wird eine ganze Reihe von Wurzeln finden. Klar ist, dass das Wort «Fas(t)nacht» unmittelbar mit dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit zusammenhängt. Zum letzten Mal darf geschlemmt und über die Stränge geschlagen werden, bevor eine Zeit der Einkehr und der Passion beginnt.
Andererseits ist es höchst unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Karneval und Fasching reine Pro­dukte des Mittelalters sein sollen. Zwar ist es empfehlenswert, den Theorien, die dieses Fest auf keltische oder germanische Ursprünge zurückführen, mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass zumindest in Europa die alljährliche Tradition des «Winteraustreibens» mit allen Hexen, Teufeln und Dämonen etwas ist, das weit in eine graue Vergangenheit weist. All die bösen Geister, die Karikaturen unseres Menschseins, werden dahin gejagt, wo sie herkommen. Die «Sau», die wir auf diese Weise rauslassen, soll uns nicht länger beeinflussen.
Hier gibt es eine interessante Parallele zum jüdischen Brauch der Verjagung des Sündenbocks am Jom Kippur-Fest, dem Versöhnungstag. Dieses Fest (es wird allerdings im Herbst gefeiert) ist ebenfalls ein Fastentag, der eine Zeit der Sühne und Einkehr beendet. Im Dritten Buch Mose finden wir die Aussage: «Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.» Der Sündenbock, das Schwarze Schaf, wird stellvertretend in die Wüste gejagt. Er nimmt die Verfehlungen und die Schuld der Volksgemeinschaft auf sich und mit sich.
Vielleicht fällt Ihnen auf, liebe Leserinnen und Leser, dass wir hiermit ganz nah bei einem Thema gelandet sind, dass uns gerade heute wieder besonders bewegt: Es ist die Frage, wie es uns gelingt, uns Unangenehmes und Fremdes nicht auszuschließen, sondern es zu integrieren und dadurch fruchtbar zu machen. Denn das, was wir da «zum Teufel jagen», ist eigentlich ein Teil von uns selbst, den wir nach außen auf andere projizieren.

Aus Stuttgart grüßt Sie herzlich

Ihr Frank Berger