Christian Kaiser

Fischen im Hamburger Hafen

Nr 134 | Februar 2011

Wollhandkrabben zwischen Kaimauern und Ozeanriesen

Der Butt kämpft sich durchs Fahrwasser der Elbe. Am Steuer seines kleinen Kahns steht Olaf Jensen. Das Fischerboot zieht vorbei an Ozeanriesen, die den Mann mehr als haushoch überragen. Kurs auf den Athabaskahöft genannten Kai der «Hamburger Hafen und Lagerhaus AG». Fünf Uhr in der Früh, noch liegt der Hafen im Dunkel der Nacht. Jensen legt den Leerlauf ein. Jetzt ist es beinah still auf dem Wasser.
Mit weit ausholenden Armbewegungen holt er seine Reuse an Bord. Überall im Boot zappelt es. Drei, vier, fünf Zander sind ihm ins Netz gegangen. Die kleinen Fische wirft er zurück, der verwertbare Fang geht in den Korb. Stattliche Kerle von gut drei Pfund sind dabei. Der Fischer sagt: «Ich bin gerne auf dem Wasser, wohne da drüben in Altona, das heißt Stadtleben – hier auf dem Wasser gibt’s wenig Stress und der Fang auf der Elbe bringt mir etwas ein.»

Wenn Historiker zu Fischern werden

Seit 25 Jahren geht Jensen fischen. «Als Schuljunge ging ich schon Angeln, später habe ich mir dann Boot und Netze gekauft, um mein Geschichtsstudium mit der Fischerei zu finanzieren. Das lief so gut, da habe ich mich kurz vor dem Diplom gegen das Leben als Akademiker entschieden. So bin ich Fischer geworden. Das Fischen muss wohl schon in den Genen stecken», meint der 51-Jährige, der mit seiner großen, schlanken Gestalt, den buschigen Augenbrauen, dem rotblonden Haar und dem markanten Gesicht einem Bilderbuchfischer ähnelt.
Nach kurzer Fahrtdauer erreicht Jensen sein «Top-Revier» in der Reethe. Dort ist an diesem Morgen weit und breit kein Mensch zu sehen – nur Raffinerien und Futtersilos. «Da am Dalben hängt noch meine Leine», schimpft Jensen. «Irgendjemand schneidet mir immer wieder die Reusen einfach ab.» Oft sind ihm hier nicht nur die Fische, sondern die teuren Netze gestohlen worden. «Hier im Hafen wird viel geklaut», sagt Jensen. Gerne träumt er von der guten, der alten Zeit: «Noch vor 150 Jahren galt die Elbe als fischreichster Strom Europas, Stinte konnte man mit ’nem Eimer rausholen; die Schweine hat man damit gefüttert.» Der Stint ist ein kleiner Fisch, der früher von Mitte Februar bis Ende März in Schwärmen den Elbstrom hinaufzog. Dann war er aufgrund der starken Elbverschmutzung zwischenzeitlich kaum noch anzutreffen, doch seit rund fünfzehn Jahren findet man ihn hier wieder. «Von da an ging es aufwärts», freut sich Jensen über die Rückkehr der Fischfauna in der Elbe.
Vor sieben Jahren kam Jensen auf die Idee, die 1912 aus China eingeschleppte Wollhandkrabbe, sie galt bisher als lästiger Beifang und Fischereischädling, zu vermarkten. Also bot er die Krabben kurzerhand einem Koch an. Und so war Jensen der Erste, der in chinesischen Restaurants gute Abnehmer für die Krustentiere fand. Heute weiß mancher Gourmet die Tiere als Delikatesse zu schätzen.
Noch immer weht ein eklig nasskalter Nordwestwind, dazu setzt Regen ein. Der Außenborder zerreißt mit seinem Geknatter die Stille und Einsamkeit. Der sonore 25-PS-Bass röhrt, als Jensen den Motor aufdreht. Am Steuer stehend bemerkt er lakonisch: «Nun geht es immer auf südlichem Kurs ins romantische Drei­burgenland: Ham­burg, Harburg, Wilhelmsburg.» Da taucht die Köhlbrandbrücke, Ham­burgs weithin sichtbares Wahrzeichen, auf, das sich hoch aufragend über das Gewässer spannt. Inseln im Strom werden so verbunden und für den Containerverkehr auf der Straße erschlossen. Während auf der einen Seite die hohen Silos der Ölmühle emporragen, türmen sich hinter dem Altenwerder-Ufer dunkle Berge aus Eisenerzen auf.

Im Reich der Riesen

«So’n Schiet-Wetter», flucht Jensen, als er in der Rugenberger Schleuse warten muss, bis die Schleusentore sich von Geisterhand langsam öffnen. Jetzt unterquert der winzige Butt die mächtige Hängebrücke. Jensen und sein Boot wirken wie Zwerge darunter, die sich ins Reich der Riesen vorgewagt haben.
Südlich der Köhlbrandbrücke hat der Fischer rund 25 Reusen aufgestellt. «Die muss ich ständig kontrollieren», erklärt er, «die verheddern sich gerne.»
Diese regelmäßigen Kontrollen sind zeitaufwendig. Nach viereinhalb Stunden getaner Arbeit geht es auf dem Rückweg über die Süderelbe an Altenwerder vorbei.
In großen Lettern steht «Container Terminal Altenwerder», kurz CTA, an den Containerbrücken. Es ist der modernste Terminal der Welt, betont die Hamburger «Port Authority», kurz HPA. In den Siebziger-Jahren stand hier noch ein intaktes Fischerdorf. Nur noch die verloren wirkende backsteinerne Dorfkirche des Nachbardorfs unweit der Autobahn A7 erinnert daran, dass hier noch vor vierzig Jahren Menschen wohnten, die von Fischerei und Obstbau lebten.
«Die Gewässerqualität ist trotz der Hafenerweiterung nicht schlecht», sagt Jensen und fügt hinzu: «Sonst dürften die Behörden die Fische ja nicht schon vor Jahren zum Verzehr freigegeben haben.»
Nach sieben Stunden harter Arbeit steuert der Fischer sein Boot zum Liegeplatz zurück, während die von Computern gesteuerten und mit Barcodes versehenen Container wie von Geisterhand be- und entladen werden. Jensen schaut plötzlich finster drein. Er grübelt, während er neben dem dröhnenden Außenborder hockt. Er macht sich Sorgen um seine Zukunft.

Auch Fische brauchen eine Kinderstube

«Allein durch das Zuschütten des Mühlenberger Lochs für die Airbus Werke verschlechterte sich die Lage für die Fauna in der Elbe erheblich. Die meisten Fischarten kamen genau dorthin, um in jener Flachwasserzone zu laichen.» Und in der Tat hatten nationale und international renommierte Experten das Biotop «als besonders schützenswert» eingestuft. Fischereibiologe Professor Hartmut Kausch prägte den Begriff «Kinderstube der Elbfischpopulationen». Doch nach Auffassung von Jensen verschärft sich die Situation noch, wenn die Elbe, wie die Hamburger Wirtschaftsbehörde plant, auf zwanzig Meter vertieft werden soll. Dafür soll das Flussbett laut der Expertisen wieder ein ganzes Stück tiefer ausgehoben werden. Dabei kommen die Fische schon jetzt nicht mehr gegen die Strömung an. Sie geraten unter einen ungesunden Dauerstress, was bei vielen zum Tod führt. «Zusammengenommen hat das alles empfindliche Auswirkungen auf die Bestände, das merken gerade wir Fischer natürlich zu erst.» Zu dieser Problematik kommt noch hinzu, dass in jedem warmen Sommer Sauer­stoffmangel in der Elbe herrscht. «Nun beobachte ich, dass die Fische sich immer mehr in die wenigen stillen Bereiche des Hafens zurückziehen. Zudem hat die Behörde vor, die zur Fischerei ausgewiesenen Flächen stark einzuschränken», kritisiert der Hafenfischer.

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Fotos: © Christian Kaiser (www.kaiser-photography.de)

Vom Boot in die Küche

Die Unterhaltung ist jäh vorbei, als Jensen auf der Nordseite der Elbe sein Boot am Ponton festmacht. Er nimmt den Eimer und spült mit dem Elbwasser den Schlick über Bord. Dann säubert er seine frisch gefangenen Fische, die anschließend direkt an die Kunden ausgeliefert werden. Sonnabends räuchert Jensen seine Aale. Er verkauft sie warm vom Räucherofen aus. Und sonntags früh um fünf Uhr morgens steht er auf dem Hamburger Fisch­markt und bietet seine selbst gefangenen Aale an.
«Werben brauche ich nicht, der geräucherte Aal geht weg wie geschnitten Brot. Die Wollhandkrabben sind dann längst im Kochtopf. Mein Erlös aus der Elbfischerei wächst», kommentiert Jensen zufrieden. «Allerdings – wenn meine Frau nichts dazuverdienen würde, dann würde das Geld nicht für unsere vierköpfige Familie ausreichen.»
«Den heutigen Fang liefere ich beim Großmarkt ab», sagt er beim zügigen Verladen des Fischs in sein Auto. «Ich muss mich sputen, meine Jungs kommen von der Schule.» Die beiden Söhne, Lennart, 16, und Jan, 18, erwarten ihren Vater mittags in der Küche. Ein langer Arbeitstag. Dafür erfreuen sich Olaf Jensen und seine Frau Gabriele mindestens zweimal in der Woche am selbst gefangenen frischen Fisch. Suppe von Wollhandkrabben als Vor­speise, als Hauptgericht gibt es Hamburger Zander mit Salz­kartoffeln, zerlassener Butter und Petersilie dazu. Alles klar!