Thilo Bode im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Was steckt in unseren Lebensmitteln?

Nr 139 | Juli 2011

Eigentlich wissen wir, dass unsere Gesundheit auch davon abhängt, was wir essen. Deshalb sind wir Verbraucher immer wieder schockiert, wenn ein Lebensmittelskandal aufgedeckt wird (wie die Rinderseuche BSE oder Dioxin in Eiern). Aber selbst ohne Skandal ist es nicht einfach, gesundheitsbewusst einzukaufen: Die Liste der Zutaten auf vielen Produkten ist lang und unverständlich, zudem fast unleserlich klein gedruckt. Und ob die Eier in den Nudeln aus artgerechter Haltung sind, das Fleisch auf Genfutter beruht oder der Müsliriegel wirklich mehr Energie gibt, bleibt im Dunkeln. Deshalb fordert die gemeinnützige Organisation foodwatch mehr Transparenz und eine bessere Aufklärung der Verbraucher über Gesundheitsgefahren. Der foodwatch- Gründer Thilo Bode zeigt in seinem Buch «Die Essens­fälscher» anhand vieler Beispiele, «was uns die Lebensmittelkonzerne auf den Teller lügen». Dass Verbraucher eine Macht sein können, wenn sie informiert sind und sich konsequent verhalten, zeigt sich, wenn wieder einmal ein Lebensmittelskandal zur Änderung des Kauf­verhaltens führt – und die Hersteller (teilweise) zu Änderungen veranlasst.

Doris Kleinau-Metzler | Herr Bode, foodwatch heißt «Lebens­mittel­aufpasser». Warum muss eine Organisation darauf aufpassen? Gibt es dafür nicht die staatliche Lebensmittelüberwachung?

Thilo Bode | Die Lebensmittelkontrollen sind leider nicht sehr wirksam. Verstöße gegen das Lebensmittelrecht (wenn zum Beispiel ein Gastwirt billiges Käse-Imitat auf Pizza als echten Käse verkauft) werden dokumentiert, aber die Verbraucher erfahren davon nichts. Deshalb können sie nicht unterscheiden zwischen den Lebens­mittel­betrieben, die sauber arbeiten, und denen, die sich nicht an
die Hygiene- und Deklarationsvorgaben halten. Ein Schwerpunkt der Arbeit von foodwatch ist die Forderung nach mehr Transparenz der Lebensmittel und mehr gesundheitlichem Verbraucherschutz,
bei dem es viele Defizite gibt.

DKM | Es ist noch kaum 100 Jahre her, dass ein Großteil der Bevölkerung sich überwiegend oder teilweise mit selbst angebauten oder im nächsten Umkreis hergestellten Produkten ernährte und man deshalb wusste, was man aß. Und heute?

TB | Der Bezug zur Lebensmittelproduktion ist entweder nicht mehr da, weil man in der Stadt wohnt, oder man hat ein Bild davon, das nicht der Realität entspricht. Unsere Lebensmittel werden heute weitgehend in einer sehr komplexen Produktionsweise hergestellt, eng verwoben mit Logistikketten und internationalem Handel. So kommen zum Beispiel die Zutaten für eine Tiefkühlpizza aus allen Teilen der Welt, und man kann sich kaum noch vorstellen, was alles an Produktionsschritten dahintersteht. Was heute auf der Packung als Zutaten entsprechend den derzeitigen Bestimmungen aufgelistet ist, ist für den Verbraucher zudem oft nicht verständlich. Der eigentliche Zweck solcher Angaben, mit ihnen die Qualität und damit die Eigenschaften eines Produktes beurteilen zu können, wird so nicht erreicht. Lebensmittelkonzerne argumentieren, dass sie den Ver­braucher nicht mit Informationen überfordern wollen. Doch nötig ist gar kein Beipackzettel für Lebensmittel. Wir wollen, dass die wichtigsten Informationen auf der Packung stehen – in einer klaren und verständlichen Form. Und es darf nichts versprochen werden, was nicht stimmt. Sicher kann man anhand einer Dreisatzrechung den Nährwertgehalt verschiedener Produkte beim Einkaufen vergleichen. Aber wer verbringt schon gerne Stunden mit dem Taschenrechner im Supermarkt? Mehr Transparenz hieße deshalb beispielsweise, dass man auf einen Blick den Nährwertgehalt (Zucker, Salz, Fett) eines Produktes erkennen könnte. Die britische Lebensmittelbehörde FSA hat dazu ein Ampelsystem für die Vorderseite der Packung entwickelt, das von grün (geringer Nährwertgehalt) bis rot (hoher Gehalt) reicht. So kann jeder er­kennen, dass der angeblich gesunde Kinderdrink fast nur aus Zucker besteht, und kann gesundheitsbewusster einkaufen, denn Übergewicht ist heute einer der größten gesundheitlichen Risikofaktoren bei uns.

DKM | Um zu entscheiden, was man aus dem riesigen Angebot kauft, wie man sich gesund ernährt, ist Information notwendig. Aber die endlosen Reihen von ähnlichen Joghurts im Supermarkt sind ermüdend; allein deshalb kauft mancher lieber beim Discounter ein.

TB | Ja, zumal die getestete Qualität dort nicht schlechter ist als anderswo. Aber egal, wo Verbraucher einkaufen: Sie müssen er­kennen können, was sie bekommen. Erst dann können sie auch bewusst entscheiden. Transparenz gehört zum Lebensmittelrecht. Damit der Bürger mündig entscheiden kann, muss über Prozesse und Produkte so informiert werden, dass sie durchschaubar sind.
Der Lebensmittelmarkt ist für die Verbraucher da und nicht umgekehrt! Die Verbraucher sollen bestimmen, was produziert wird, und das können sie nur, wenn sie wissen, wie die Produkte zusammengesetzt sind. Unser Lebensmittelrecht hat zwei Pfeiler: Das Täuschungsverbot und den Gesundheitsschutz. Aber beide Bereiche werden in der Praxis nur sehr mangelhaft umgesetzt.

DKM | Warum?

TB | Die Interessen der Lebensmittelwirtschaft werden durch eine übermächtige Lobby einflussreich vertreten. Auf der anderen Seite gibt es derzeit noch keine starke Verbraucherbewegung und damit kaum Druck auf die Parlamente, Verbraucherrechte auch gegen die Interessen der Industrie durchzusetzen. Deshalb ist manches, das von Verbrauchern als kritikwürdig angesehen wird, ganz legal.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

DKM | Und die Verbraucherzentralen, die es in einigen großen Städten gibt? Sie werden von Verbrauchern als Anwalt ihrer Inter­essen angesehen.

TB | Sie sind auch eine Art Verbraucheranwalt. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist, auf Regelverletzungen aufmerksam zu machen und entsprechende Abmahnungen gegenüber Unternehmen auszu­sprechen (wenn in Orangenmarmelade beispielweise keine Orangen sind). Die Verbraucherzentralen sind eine wichtige Institution, allerdings werden sie vom Staat finanziert und sind deshalb auch in dieses System eingebunden. Wir ergänzen uns, denn foodwatch hat ein anderes Aufgabengebiet und ist durch die Fördermitglieder unabhängig von Staat und Unternehmen. Wir können Namen nennen, Positionen gegen die Regierung beziehen und kontroverse De­batten führen, wenn es notwendig ist.

DKM | Als ein Aufgabengebiet von foodwatch nannten Sie den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Dazu fallen mir die vielen Zusatzstoffe auf Lebensmittelpackungen ein, die ich oft nicht ver­stehe, hinter denen ich aber nichts Gutes vermute.

TB | Es gibt in der Europäischen Union etwa 320 zuge­lassene Zusatzstoffe wie Konservierungsstoffe, Farbstoffe, Geschmacks­­ver­stärker, Antioxidationsmittel, Süßstoffe. Die Hälfte davon ist ge­sund­heitlich umstritten, zum Beispiel der Süßstoff Aspartam oder
der Geschmacksverstärker Glutamat. Wenn man das sogenannte «Vorsorge­­prinzip», das im Lebensmittelrecht verankert ist, konsequent anwenden würde, müsste ein Zusatzstoff verboten werden, wenn er gesundheitlich umstritten ist – und nicht erst, wenn der letzte wissenschaftliche Beweis erbracht ist. Denn die Zusatzstoffe sind ja nicht alternativlos. Es gibt genügend natürliche Stoffe, die erwiesenermaßen nicht schädlich sind, sodass man kein Risiko eingehen muss.

DKM | Ein Lebensmittelbereich, der immer wieder in die Schlag­zeilen gerät, ist das Fleisch. Was gibt es dabei zu bedenken?

TB | Gesellschaftlich betrachtet muss man vor allem sagen, dass der Fleischkonsum höher ist, als es uns gut tut. In Deutschland beträgt er ca. 90 kg pro Jahr und Kopf, in den USA sogar 120 kg, in den Entwicklungsländern dagegen unter 30 kg. Weltweit liegt der Durchschnitt bei knapp 40 Kilogramm, Tendenz steigend. Dieser hohe Fleischkonsum hat Nachteile: Er ist schlecht für die Entwicklung des Klimas – so ist die Tierhaltung in Deutschland für 70 Prozent der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich. Mehr als 60 Prozent der Ackerfläche wird zum Anbau von Tierfutter genutzt, also nicht zum Anbau von Brotgetreide oder Gemüse direkt zur menschlichen Ernährung. Das kann man auch als Verschwendung von Ressourcen ansehen. Angesichts des Hungers auf der Welt ist das eine große ökologische und soziale Heraus­forderung. Nur wenn der Verbrauch an tierischen Proteinen weltweit zurückgeht, ist die Weltbevölkerung zu ernähren. In Anbe­tracht solcher Folgen, ist Fleisch eigentlich zu günstig. Es wird bei uns in großen Einheiten (Massentierhaltung), mit günstig importiertem Futter produziert und durch EU-Gelder subventioniert. Wenn man die wahren Kosten für die Fleischproduktion an­setzen und artgerechte Tierhaltung betreiben würde, wäre Fleisch teurer – was voraussichtlich zu einer Verringerung des Fleisch­konsums führen würde. Und das wäre nicht nur gut für Tiere und Umwelt, sondern auch für unsere Gesundheit.

DKM | Also sollte man Vegetarier werden oder sich vegan, ohne tierische Produkte, ernähren?

TB | Unter rein ökologischen Gesichtspunkten betrachtet, ist vegetarisch auch nicht ideal, denn Milchprodukte sind relativ problematisch, weil die Rinderhaltung einen großen Treibhauseffekt ver­ursacht. Ein Käsebrot ist sogar schädlicher für das Klima als ein Brot mit Wurst aus Schweinefleisch.
Aber deshalb muss nicht gleich jeder zum Veganer werden. Würden wir das Motto «Zurück zum Sonntagsbraten» beherzigen, wäre schon vieles erreicht.

DKM | Lebt man mit Biokost, die immer mehr in Supermärkten angeboten wird, immer gesünder?

TB | Bio ist eher ein Nischenbereich mit einem Anteil von gerade einmal fünf Prozent. Ob Öko-Produkte gesünder sind, kommt darauf an – jeden Tag Bio-Gänsebraten ist natürlich auch nicht gesund. Die wesentlichen Gesundheitsgefahren sind heute andere als früher, sie sind indirekt und eher langfristig. Eine der größten Gefahren ist das zunehmende Übergewicht, schon bei Kindern. Aber manche Bio-Hersteller sind bei der Transparenz für den Verbraucher, zum Beispiel bei den Nährwertangaben, nicht besser als konventionelle. Versteckte Zucker-, Fett- oder Salzwerte widersprechen auch hier dem Transparenzgebot. Bioprodukte haben in vielerlei Hinsicht Vorteile, aber sie sind nicht immer «besser» oder «gesünder» als konventionelle.

DKM | Sie haben foodwatch vor neun Jahren gegründet und zu einer in der Öffentlichkeit populären Organisation mit inzwischen 12 Mitarbeitern aufgebaut. Was bringt Sie zu Ihrem Engagement? Und was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

TB | Mir macht es zum einen Freude, etwas aufzubauen, mitzugestalten, zum anderen finde ich es auch wichtig, mich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, ist spannend. Menschen nehmen zunehmend nicht mehr alles resigniert hin nach dem Motto «Da kann man nichts machen», sondern engagieren sich ganz konkret, um etwas zu ändern – von «Stuttgart 21» bis hin zur Bewegung in Nordafrika. Für die Zukunft planen wir, foodwatch europäisch zu etablieren, denn die Lebensmittelgesetze sind europäisch geregelt. Als relativ kleine Einrichtung mit begrenzten Mitteln müssen wir Schwerpunkte setzen, aber unsere Forderung nach ehrlichen und sicheren Nahrungsmitteln ist weiter notwendig und kann noch viel Unterstützung brauchen.