Martina Schwarzmann im Gespräch mit Doris Kleinau-Metzler

Jeder Mensch ist eine eigene Liga!

Nr 140 | August 2011

Martina Schwarzmann, gelernte Köchin und geborene Kabarettistin, kann und will auch im Gespräch ihre bayrische Herkunft nicht verbergen. Das geschriebene Interview aber soll möglichst frei von bayrischen Sprachschöpfungen sein, «denn wenn i bayrisch zitiert wer, klingt des oft wie Chinesisch für mi?…» Dennoch wird sie in ganz Deutschland verstanden, nicht nur, weil sie während eines Auftritts bereitwillig manches übersetzt (was ist eine «gscheckerte Schippen»?). Martina Schwarzmann wird verstanden, weil ihre Themen von den kleinen und großen Freuden und Sorgen des Lebens jeden betreffen – sei es, weil er selbst mal einen «Meditations­schnupperkurs» gemacht hat, auf dem «Wertstoffhof» in der Schlange stand oder «greislig, aber voller Hoffnung» war. Anschaulich, zugespitzt und bis hin zu einem entscheidenden Punkt, der Lachsalven im Saal auslöst, bleibt nach ihren Stücken etwas Nachdenkliches zurück.
Martina Schwarzmann ist eine bajuwarische Alltagsphilosophin, dem Genuss als auch den normalen Verrücktheiten des Lebens zugewandt. Mit ihren selbst verfassten poetischen Texten betreibt sie auf der Bühne die «für mich einzig mögliche Kunst» als Kabarettistin.

Doris Kleinau-Metzler | Frau Schwarzmann, Sie sind auf einem Bauernhof in einem kleinen bayrischen Dorf bei Dachau aufgewachsen und haben mit 15 Jahren eine Lehre als Köchin begonnen. Wie kommt man da auf die Idee, Kabarett zu machen?

Martina Schwarzmann | Viele Kabarettisten kommen eher aus kleinen Orten, vielleicht, weil man an einem überschaubaren Ort die Leute, die zwischenmenschlichen Zusammenhänge über Jahre besser beobachten kann. Aber in der Stadt finden sich in einem Mietshaus wahrscheinlich die gleichen Typen. Deshalb kann auch jeder die Texte verstehen. Eigentlich hat für mich alles schon früh angefangen: Mit fünf Jahren wurden Kinderlieder von mir mit aktuellen Themen angereichert und umgedichtet, später schrieb ich heimlich kleine lustige Gedichte. Mit 16 habe ich daraus ein Gedicht­heft zusammengestellt und das meinen Eltern und Freunden zu Weihnachten geschenkt.

DKM | Deshalb wollten Sie Kabarettistin werden?

MS | Eigentlich wusste ich immer, dass ich Kabarettistin werden wollte, aber nicht, wie man dahin kommt. Mein Jugendtraum war, eigene Sachen mit Spaß zu machen, ausschlafen und irgendwie davon leben. Irgendwann dachte ich aber: Andere wollen Model werden und es klappt nicht. Du willst Lieder­macherin werden und es geht halt nicht. Deswegen lernte ich Köchin. Aber das ist ein extrem anstrengender Beruf – was meinen Ehrgeiz, beruflich etwas mit Kabarett zu machen, angestachelt hat. Manchmal konnte ich im kleinen Rahmen wie auf der Weihnachtsfeier vom Fußballverein zwei, drei Texte vortragen. Ich brachte mir dann selbst Gitarre­spielen bei und hatte zwei Wochen später mit 19 meinen ersten richtigen Auftritt, eine halbe Stunde Programm auf der 35-Jahr-Feier des Sportvereins Überacker.

DKM | Sie haben aber weiter als Köchin gearbeitet?

MS | Ja, insgesamt acht Jahre, mit der Lehre. Für ein halbes Jahr bin ich in die Schweiz gegangen, aber mir wurde immer klarer, dass ich Kabarettistin werden wollte. Deshalb arbeitete ich in einer Kantine, um abends und am Wochenende für Auftritte frei zu haben. Mein Ziel war damals, 15.000 Mark zu sparen und als Köchin aufzuhören, um als Kabarettistin zu arbeiten. Wenn das nach einem Jahr nicht klappen würde, könnte ich wieder als Köchin arbeiten, dachte ich mir. Dann bekam ich den Förderpreis vom Bezirk Oberbayern, der auch mit Geld verbunden war, und zusammen mit dem Ersparten reichte das. Zudem stand gerade der Irakkrieg vor der Tür, manche sahen die Zukunft schwarz, aber ich sagte mir: Jetzt mach ich das, was für mich wichtig ist, und kündigte. Alles passte irgendwie zusammen.

DKM | Dann haben Sie eine Art Wanderleben geführt.

MS | Ich bin in ganz Deutschland rumgefahren und habe nach Auf­trittsmöglichkeiten gesucht. Aber im Januar 2003 hatte ich nur einen Auftritt vor sieben Leuten. So konnte das mit dem Kabarett nicht funktionieren. Ich suchte mir 200 Bühnenadressen raus, rief alle an und bettelte, dass ich spielen darf. Manche Veranstalter bekommen 1000 Bewerbungen im Jahr, man muss sich also etwas einfallen lassen und penetrant sein. Wenn ich einmal aufgetreten war, bekam ich meist im nächsten Jahr wieder einen Termin. Es war eine sehr anstrengende Zeit mit vielen einsamen Nächten auf irgendwelchen Bahnhöfen oder in schlechten Hotels. Aber es ging bergauf.


DKM | Welche Rolle spielt ihre Familie für Sie bei Ihrem Werde­gang und heute?

MS | Ich komme aus einer normalen Chaosfamilie mit unterschied­lichen Mitgliedern. Die Großeltern wohnen neben uns. Wir haben viel Spaß miteinander. Mein Vater ist sehr humorvoll und hat uns Kindern früher oft fantasievolle Geschichten erzählt oder uns ge­foppt. Wenn beispielsweise eine Blindschleiche im Viehfutter war, hat er schnell Gras drübergelegt. Dann sagte er uns Kindern, dass er zaubern könne, hat Hokuspokus gemacht, die Futtergabel ge­nommen – und die Schlange war da. Wir Kinder meinten dann, er könne wirklich zaubern.

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Fotos: © Wolfgang Schmidt (www.wolfgang-schmidt-foto.de)

DKM | In einem Interview im Bayrischen Fernsehen erzählten Sie auch von Ihrer behinderten Schwester. Welche Erfahrungen verdanken Sie ihr?

MS | Wir sind zwei Jungen und zwei Mädchen, meine Schwester ist vier Jahre jünger als ich und körperlich und geistig behindert, sie sitzt im Rollstuhl. Das ist für mich völlig normal, ich habe mir als Kind nie Gedanken darüber gemacht und es nur registriert, wenn andere seltsam reagiert haben – wenn zum Beispiel Mütter ihre kleinen Kinder vom Rollstuhl weggezogen haben und sagten: «Geh weg, das Kind ist krank.» Da habe ich schon als Kind gemerkt, wie dumm andere Leute manchmal sind (lacht). Ansonsten konnte ich durch meine Schwester viele interessante Leute kennenlernen. Wenn sie mit einer Behindertengruppe weggefahren ist, war ich oft als Begleiterin für sie dabei. Das hat meinen Horizont erweitert.

DKM | In dem Interview sprechen Sie davon, dass Ihre Schwester ein Glück für Ihre Familie ist. Wie meinen Sie das?

MS | Wir halten als Familie deshalb mehr zusammen; es ist einfach eine lebenslange gemeinsame Aufgabe. Und natürlich ist es gut, dass man dadurch immer einen Super-Parkplatz hat und verbilligten Eintritt (lacht). Es ist vor allem deshalb ein Glück, weil es mit ihr so ist, als ob noch ein Kind in der Familie wäre. Weihnachten nur mit Erwachsenen ist völlig langweilig – aber wir haben ja meine Schwester. Sie ist inzwischen zum Christkindl aufgestiegen und klingelt, wenn man ins Weihnachtszimmer gehen darf. Ihre Freude ist wie früher, als man selbst klein war. Sicher ist sie kein kleines Kind und hat sich auch entwickelt, aber wie sie sich freuen kann, ist noch so besonders wie bei kleinen Kindern. Sie gibt viel an uns weiter – auch einen ihrer Lieblingssprüche: «Nicht meine Problem …»

DKM | Sie sind inzwischen Mutter einer kleinen Tochter. Was hat sich dadurch für Sie verändert?

MS | Ich frage mich, was ich vorher überhaupt getan habe, vor allem zeitlich (lacht). Eigentlich müsste es doch den ganzen Tag lang­weilig gewesen sein – aber so war’s nicht. Jetzt, im Moment, bin ich mit meinem Doppelleben sehr zufrieden, und es klappt alles gut: Von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags bin ich Mutter, dann übernimmt mein Mann die Tochter, und zweimal die Woche bin ich bis 24 Uhr Kabarettistin. Es tut mir gut rauszukommen, auch mal wieder beide Hände frei zu haben und in Ruhe zu essen. Zum Glück habe ich ein gutes Gedächtnis – besonders, was meine Kindheit und Pubertät betrifft – und damit eine gute Voraus­setzung, Kinder und Jugendliche zu verstehen (und manches in Texten zu verarbeiten). Kinder werden oft unterschätzt, weil Menschen sich nicht mehr an die eigene Kindheit erinnern, wie man sich zum Beispiel mit vier Jahren gefühlt hat. Sonst hätte man mehr Respekt und Verständnis für sie.

DKM | Jede Woche mehrmals irgendwoanders auf der Bühne zu stehen, aber mit einem festen Programmablauf, ist das nicht manchmal langweilig?

MS | Jeder Abend ist eine Herausforderung für mich, weil ich den Leuten einen schönen Abend bescheren will! Und das Publikum ist jeden Abend anders, sodass man die Menschen an einer anderen Stelle abholen muss. Oft sitzen drei Generationen da, und trotzdem hat jeder seinen Spaß, weil ich verschiedene Ebenen anspreche. Manchmal sind die Menschen vor mir wie ein tosendes Meer, auf das ich von der Bühne schaue, und ich muss drüber­schauen, damit ich mich weiter konzentrieren kann.

DKM | Auf Ihrer akturellen CD Wer Glück hat kommt! beschreiben Sie im Lied «Greislig, aber voller Hoffnung» sehr anschaulich die Leiden der Pubertät, wenn man selbst und die Welt nicht so ist, wie man will. Sie kommen zu dem Schluss: «Oft is s a groß Glück, kurz vorm Ziel nummoi auf d Schnauzn zum fliang, a wenn ma in dem Moment, wo ma do leigt, des gar need so sigt.» Eine Lebens­­er­fahrung, dass sich mit dem Abstand der Jahre einiges wandelt?

MS | Also für mich war es oft ein Glück, dass es nicht so lief, wie ich mir etwas vorstellte und wollte. Als mir einmal als Köchin gekündigt wurde, habe ich danach eine viel bessere Stelle bekommen. Auch wenn ein Auftritt mal nicht so gut lief, dachte ich: Wer weiß, wofür das gut ist. Ich bin immer positiv eingestellt. Selbst nach dem grauenvollen Auftritt beim Starkbierfest – ein Albtraum, weil fast alle betrunken waren – haben sich daraus fünf, sechs gute Folgeauftritte ergeben. Es ist auch gut, nicht die Nummer eins zu sein, sondern weiter hinten zu stehen, wo man mehr Ruhe hat und nicht so viel Stress. Ich möchte keine eigene Sendung im Fernsehen haben und auch nicht in der Olympiahalle spielen.

DKM | Wie entstehen Ihre Stücke? Manches erinnert zunächst an Liedermacher wie Reinhard Mey, wie bei Ihrem poetischen Lied «Busfahrer zum anderen Stern». Allerdings gibt es bei Ihnen meist einen Widerhaken, ein anschauliches Bild, das ein Gefühl drastisch und zutreffend beschreibt.

MS | Das Lied habe ich am Ende der letzten Tournee nicht mehr gespielt, weil mir manche vorge­worfen haben, es sei behindertenfeindlich, wegen des Refrains «manchmoi fui i mi so wia a Tretabfalleimer am Behindertenklo, Roistuifahrer kemma und schaun mi o». Das weist für mich aber eher auf ihr verklemmtes Verhältnis zum Thema hin. Meine Texte entstehen aus meinem Alltag, manchmal ist es ein Satz, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht, oder eine Szene, die ich gesehen habe. Dann spiele ich mit der Gitarre irgendetwas dazu, was passt (ich kann keine Noten), und was im Gedächtnis bleibt, ist die Melodie.

DKM | Auch bei schwierigen Situationen wie beim Umgang mit der alzheimerkranken Oma scheinen Sie einen humorvollen, lebenspraktischen Ansatz zu finden.

MS | Wenn ich bei meiner Oma nur entsetzt denke: Oh je, was für eine schlimme Krankheit, sie ist ganz anders als früher – ist alles nur negativ. Aber man kann es doch auch lustig finden, wenn sie sich eine Tasse Kaffee bis oben voll mit Zucker gemacht hat und dann einem Löffel Kaffee dazugibt, sodass der Löffel drin stehen bleibt. Man lacht nicht über sie, sondern über die lustige Szene. Durch Humor kann man lockerer miteinander umgehen. Dazu gehört vor allem die Fähigkeit, für jeden Menschen eine eigene Liga aufzumachen und nicht von jedem das Gleiche zu erwarten.